Bier und Trüffeln

Kriminalistische Genießer

Es ist noch gar nicht so lange her, da aßen die literarischen Kommissare überhaupt nicht, und schon gar nicht gut. Sie tranken Bier oder Pastis. Sie rauchten Pfeife oder Stärkeres. Und dann kamen die Genießer. Die Köche. Die Regionalküchen-Fanatiker.

Da hocken sie in ihren Büros, die Kriminalisten aller Art, in Bari, Vigàta, Florenz, Triest, Venedig, oder in Barcelona. Sie grübeln hinter ihren Schreibtischen, fahren zum Nachdenken ans Meer, gehen essen oder kochen sich selber etwas. Und ihre geistigen Väter und Mütter haben großen Spaß, den treuen Anhängern ihrer genießenden Verbrecherjäger Nachhilfeunterricht in Sachen regionaler Küche zu geben. Regionale Weine zu erwähnen. Und einzelne Phasen der Herstellung jener Gerichte, die sie zur eigenen Schreibe-Entspannung zubereiten, preiszugeben.

Einem selber gerne Kochenden beziehungsweise Genießendem fällt auf, dass die verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich begabt sind, was die kulinarischen Dinge angeht. Und dass die Männer weit mehr vom Genießen verstehen. Seltsam!

Privatdetektiv mit Vergangenheit

Einsame Spitze: Manuel Vázquez Montalbán beziehungsweise dessen Figur Pepe Carvalho. Er ist Privatdetektiv mit Vergangenheit, saß zwei Jahre als "Politischer" in Francos Gefängnissen, ging nach seiner Freilassung in die USA und heuerte bei der CIA an. Jahre später eröffnete er ganz in der Nähe der Ramblas in Barcelonas eine Detektei. Sein Freund und Angestellter Biscuter pflegt ihn während des Tages mit Essbarem zu versorgen.

Des Abends, wieder zuhause, kocht er selbst, mit Leidenschaft. Zu seinem Genussritual gehört nicht nur ein guter Wein, sondern auch die rituelle Vernichtung eines Buches, vorzugsweise eines solchen, das durch besondere Gedankengänge das Denken seiner Jugend fehlgeleitet hat - wie er zu sagen pflegt. So fand unter anderem Sartres philosophisches Hauptwerk im Laufe eines Mahles katalanischer Spezialitäten, von exzellentem Wein begleitet, einen würdigen Tod in Carvalhos Kamin.

Manuel Vázquez Montalbán stattete seinen Detektiv mit vielen Eigenschaften seiner selbst aus: auch er war als hervorragender Koch bekannt, auch er liebte exquisiten Wein, und er aß leidenschaftlich gerne Gutes. Und er gab die Rezepte Carvalhos als Buch preis, sie sind in unterschiedlichen Ausgaben auch in deutscher Sprache erschienen.

Speisen in Porto Empedocle

Der Sehnsuchtsort aller jener, die von einem Essen in der Bar Albanese oder der Trattoria San Calogero träumen, ist Porto Empedocle, Heimat des Schriftstellers Andrea Camilleri, reales Gegenstück des Städtchens Vigàta, Schauplatz brisanter Verbrechen mit politischen Wurzeln, die Commissario Montalbano zu lösen hat. Montalbano heißt nicht zufällig so: Camilleri wollte mit dieser Figur seinen katalanischen Schriftstellerkollegen Vázquez Montalbá ehren. Vielleicht wirken deshalb die beiden Kriminalisten stellenweise wie Brüder?

Camilleri verstrickt seinen Commissario wie Vázquez Montalbán in höchst aktuelle Fälle, was ihn selbst auch manchmal in Schwierigkeiten bringt. Äußeres Anzeichen: Porto Empedocle nannte sich seit April 2003 stolz Porto Empedocle Vigàta. Im Januar 2009 musste dieser Namenszusatz auf Anweisung des Bürgermeisters wieder entfernt werden.

Wenn Gehirn und Gaumen zusammenarbeiten

Weniger spektakulär, aber immer noch annehmbar sind die kulinarischen Begabungen des Avvocato Guido Guerieri, der auf Wunsch seines geistigen Vaters Gianrico Carofiglio in Bari Gehirn und Gaumen Hand in Hand arbeiten lässt. Oder Veit Heinichens Commissario Proteo Laurenti in Triest.

Auch Maresciallo Guarnaccia, den Magdalen Nabb in Florenz tätig werden lässt, versteht noch etwas vom Essen - im Gegensatz zu dem sehr sympathischen Commissario Brunetti, dessen manchmal sehr eigenartige kulinarischen Vorlieben vielleicht in den US-amerikanischen Wurzeln seiner Erfinderin Donna Leon wurzeln.

Kochender Spion der alten Schule

Die jüngsten "Kriminaler" der Buchszene geben sich übrigens nicht mehr mit normalem gutem Essen zufrieden, da müssen es dann schon Trüffeln sein. Mindestens. Denn die Sache mit dem Kaviar - zumindest im Titel - stammt aus 1960. Thomas Lieven, der allererste und Generationen prägende Genießer und Mehrfachagent wider Willen, war deutscher Bankier und wurde von einem Österreicher erfunden, von Johannes Mario Simmel.

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Hör-Tipp
Terra incognita, jeden Donnerstag, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Manuel Vázquez Montalbán, "Schuss aus dem Hinterhalt. Ein Pepe-Carvalho-Roman", Piper

Andrea Camilleri, "Das Paradies der kleinen Sünder. Commissario Montalbano kommt ins Stolpern", BLT

Andrea Camilleri, "Die Flügel der Sphinx: Commissario Montalbano sehnt sich nach der Leichtigkeit des Seins", BLT

Gianrico Carofiglio, "Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land", Goldmann

Veit Heinichen, "Die Ruhe des Stärkeren", Zsolnay

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Magdalen Nabb, "Vita Nuova. Guarnaccias vierzehnter Fall", Diogenes

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Donna Leon, "Das Mädchen seiner Träume. Commissario Brunettis siebzehnter Fall", Diogenes

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Martin Walker, "Bruno Chef de Police", Diogenes

Johannes Mario Simmel, "Es muss nicht immer Kaviar sein", Knaur

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