City Science Talk
Judith, die kämpferische Frau
Seit 2.000 Jahren steht das Bild der Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes für die Begegnung zweier Systeme. Wie sich das Bild im Laufe der Jahre geändert hat, war Thema des letzten City Science Talk im Salzburger Festspielhaus.
8. April 2017, 21:58
Die Überlieferung ist bekannt. Nur ein Volk unterwirft sich Nebukadnezars ruhmreichen Feldherrn Holofernes nicht. Das Volk der Judith. Im Zentrum des Mythos steht eine Frau, die die tödliche Umklammerung ihrer Heimatstadt Bethulia nicht hinnimmt. Sie allein macht sich auf, den Feind zu besiegen. Doch sie richtet Holofernes nicht im direkten Kampf. Er erliegt ihrer Schönheit. Als er betrunken einschläft, enthauptet sie ihn. Was folgt, ist die Rettung des Volkes Israel. So im apokryphen Buch "Judith" in der Bibel.
Judith und der Mythos
Die biblische Judith scheint unsterblich. Heere von Künstlerinnen und Künstlern verewigten sie in berühmten Gemälden, machten sie zur Inspiration für Musikstücke, stellten sie ins Zentrum von Dramen – die wunderschöne Frau mit dem abgeschlagenen Haupt des tyrannischen Holofernes. So sind die Interpretationen dieses Mythos immer auch Indikator für das vorherrschende kulturelle Klima und die Positionierung von Mann und Frau in der Gesellschaft.
Die bei den diesjährigen Salzburger Festspielen gezeigte und von Sebstian Nübling inszenierte Judith bezieht sich unter anderem auf die Bearbeitung von Friedrich Hebbel. Dieser zeigt in seinem Stück eine Judith, die an ihrem Triumph scheitert. Die große Geschlechterdifferenz und der starke Nationalismus des frühen 19. Jahrhunderts lassen die Hebbelsche Judith sogar zu einer jungfräulichen Witwe werden. Sie bezahlt den Triumph über den Feind mit absoluter Erniedrigung. Bevor sie Holofernes richtet, vergewaltigt er sie. Sie kehrt nicht als jubelnde Heldin, sondern als gebrochene Frau zu ihrem Volk zurück.
Symbolfläche männlicher Projektion
In Salzburg wird der zweifelnden Judith von Friedrich Hebbel die triumphierende Judith aus Vivaldis Oratorium gegenübergestellt. Ein Auftragswerk der Stadt Venedig zu Ehren der Abwehr des osmanischen Heeres während der Belagerung Korfus. Ein weiteres Beispiel für eine gesellschaftliche opportune Auslegung des Mythos.
"Ein und dieselbe Figur kann für und gegen eine Herrschaft verwendet werden. Wer so eine Symbolfläche beschreibt, wer die Deutungshoheit über eine Symbolfigur wie der Judith inne hat, entscheidet über ihre Verwendung." So der Kunsthistoriker und Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder. Er sieht in der Judith-Darstellung immer schon eine Projektionsfläche männlicher Ängste, Fantasien, Hoffnungen und Wünsche. Zu den bekanntesten Beispielen zählen die Darstellungen von Donatello, Caravaggio, Botticelli, Lucas Cranach, Peter Paul Rubens und Gustav Klimt. Dabei mutiert Judith von der Heiligen zur Femme Fatale, von der Femme Fragile zum Vamp.
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Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 19. August 2009, 21:01 Uhr
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