Armut - ein statistisches Problem?

Gibt es zu wenig Arme?

400.000 Menschen in Österreich leben unter der Armutsgrenze. Diese Zahl ist ungreifbar, obwohl ganz konkrete Schicksale hinter der Statistik stehen. Für Politiker sind aber 400.000 nur wenige potenzielle Wähler, meint Erich Streissler.

"Saldo"-Sommergespräch zum Thema "Armut"

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren wieder größer geworden, erklärte jüngst der britische Ökonom Sir Tony Atkinson. In Österreich leben 400.000 Menschen unter der Armutsgrenze und weitere 600.000 Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, so die Zahlen des diesjährigen Sozialberichts. Für diese Menschen ist es nicht tröstlich, dass sie nur sehr wenige sind, erklärt Michaela Moser.

Was kann man tun, um nicht arm zu werden? In einer gut situierten Familie auf die Welt kommen, besser als Mann und nicht als Frau geboren werden, keine falschen Entscheidungen treffen, die richtigen Partner und Freunde auswählen, möchte Michaela Moser manchmal fast sagen. Denn es kommen sehr viele Faktoren zusammen, die dazu führen, dass Menschen in wirtschaftliche Bedrängnis kommen.

Sozialschmarotzer?

Die Frage ist, wie eine Gesellschaft mit diesen Schicksalen umgeht. Ist man stigmatisiert, wenn man seinen Job verloren hat? Ist mit dem Tod des Partners nicht nur die ökonomische Grundlage weg, sondern auch die soziale Ächtung da? Soll man wirklich für eine falsche Entscheidung sein Leben lang büßen?

Mindestsicherung

Der Soziologe Michael Hartmann kommt in seinem Buch "Eliten und Macht in Europa" zu dem Schluss: "Für die generelle Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich in Europa ist die weltweite Veränderung der Kräfteverhältnisse ausschlaggebend, ein Prozess, den die Eliten im eigenen Interesse aktiv voran treiben." Erich Streissler meint, dass 400.000 Menschen zu wenige Wählerstimmen darstellen, um für die Politik interessant zu sein.

"Wie krank ist unser System, wenn der Staat Milliarden für Banken übrig hat, die genau so weiterarbeiten wie vor der Krise, aber gleichzeitig Sozialkürzungen betreibt?", fragt der österreichische Autor Franzobel. Die Mindestsicherung, die es ab September 2010 geben soll, wurde im Sommerministerrat von 14 auf 12 Monate gekürzt. Es handelt sich insgesamt um etwa sechs bis sieben Millionen Euro, die sich das Staatsbudget durch die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes für Bedürftige spart. Um das in Relation zu setzten: 377 Millionen Euro, also mehr als das 50-fache, muss der Staat laut Rechnungshof aufgrund von Spekulationen abschreiben.

Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 21. August 2009, 9:45 Uhr

Buch-Tipps
Nikolaus Dimmel, Karin Heitzmann, Martin Schenk, "Handbuch Armut in Österreich", Studienverlag

Richard Wilkinson, "Kranke Gesellschaften: Soziales Gleichgewicht und Gesundheit", Springer

Roland Gebauer, Hanna Petschauer, Georg Vobruba, "Wer sitzt in der Armutsfalle? Selbstbehauptung zwischen Sozialhilfe und Arbeitsmarkt", Edition Sigma

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