Jedes Einschalten ist für mich Auseinandersetzung

Elisabeth Leonskaja, Pianistin

Die Pianistin Elisabeth Leonskaja gab bereits im Alter von elf Jahren erste Konzerte in ihrer Heimatstadt Tiflis. Seit 1978 lebt sie nun in Wien. Wenn sie das Radio aufdreht - was sie selten tut, weil sie die Stille liebt - ist ihr Sender Österreich 1.

Vor 30 Jahren bin ich aus Russland nach Wien gekommen. Ich reise berufsbedingt sehr viel und bin, so gesehen, keine echte Ö1 Hörerin. Wie ich Ö1 nutze? Ich höre die Nachrichten, wenn ich Zeit dazu habe. Die sind immer unerfreulich und werden unerfreulicher und unerfreulicher.

Gern höre ich "Pasticcio", ich finde, das wird gut gemacht und danach, wie ein Sorbet, diese fünf Minuten "Vom Leben der Natur". Dann lächelt man schon - möglicherweise zum ersten Mal am Tag. Was mich daran erfreut? Man spürt, man ist umgeben von etwas Lebendigem. Das Leben der Natur, das ist das Schönste. Denn wie kommen die Menschen zu sich? - Man geht in die Natur! Je mehr man merkt und spürt, desto schneller findet man zu sich.

Ö1 nutze ich eher zufällig. Dadurch, dass ich mich ständig in einer Klangwelt befinde, habe ich nicht immer das Bedürfnis, Musik zu hören. Oder überhaupt etwas zu hören. Stille ist wunderbar. Ich vertrage sie sehr gut.

Gezielt schalte ich Ö1 ein, wenn ich weiß, dass es eine Opernübertragung oder ein Konzert gibt. Mich selbst möchte ich nicht hören. Sich selbst zuzuhören ist für mich Arbeit. Weil ich höre immer meine Fehler und beginne gleich zu denken: Wie würde ich das besser machen...

Ob ich eine genaue, kritische Hörerin bin? Wenn mich etwas befremdet, dann beginne ich nachzudenken. Sonst bin ich keine kritische Zuhörerin, auch nicht im Konzertsaal. Ich bin freundlich gestimmt und habe Vertrauen zum Publikum. Dadurch, dass ich sporadisch einschalte, komme ich manchmal hinein, wo ich nicht weiß, was das ist, ob es mich anzieht oder nicht. Dann bleib' ich dabei oder schalte aus.

Ich vertrage keinen klingenden Hintergrund. Für andere ist das Hintergrund, für mich nie. Egal, was ist, auch wenn ich in der Wohnung umhergehe, ich höre zu. Jedes Einschalten ist für mich Auseinandersetzung mit der Sache, egal welche. Weil es ein Zeichen des Lebens ist, so oder so.

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Lukas Beck