Neue CD-Edition

75 Jahre Glyndebourne Festival

Es gab nicht nur den Wiener (und Salzburger) "Mozart-Stil", sondern auch den von Glyndebourne - seit 1934. 75 Jahre Glyndebourne Festival: Die Jubiläumssaison 2009 bot jedoch keinen Mozart. Zu große Konkurrenz aus der eigenen Vergangenheit?

Bloß um die 50 Leute waren im für etwas über 300 geplanten Saal am Landsitz Glyndebourne dabei, als 1934, nach ein paar Monaten Proben, "Le nozze di Figaro" den Grundstein zu den 75 Jahren Geschichte des heutigen Glyndebourne Festival legte. Und trotzdem entstand ein Opern-Wunder - aus einer Spinnerei eines Lederhosen-tragenden, München- und Bayreuth-besuchenden Landbesitzers.

Einen Orgel-Saal hatte Sir John Christie schon länger im Hause, aber auf den Irrsinn, sich dazu ein Miniatur-Opernhaus zu bauen, brachte ihn erst die späte Eheschließung mit einer jungen Sängerin, die noch keine Wirkungsstätte hatte.

Endlose Probenzeiten
Der Dirigent Fritz Busch und der Regisseur Carl Ebert, die Nazi-Deutschland eben verlassen hatten und nach neuen Aufgaben suchten, hielten das Offert, mit endlosen Probenzeiten in Glyndebourne zu arbeiten, zuerst für einen Witz, dachten dann, mit ihrer unerhörten Forderung nach uneingeschränkter künstlerischer Autonomie der seltsamen Sache ein Ende zu bereiten, aber Christie gewährte ihnen genau das.

Die beiden kamen, engagierten, arbeiteten - und obwohl es bis dahin noch keine einzige musikalische Komplett-Aufnahme einer Mozart-Oper gab, das wirtschaftliche Wagnis also unabsehbar war, rückte gleich im ersten Glyndebourner Opern-Sommer 1934 auch ein Aufnahmewagen von His Master's Voice nach Sussex aus und machte den Mix aus Verrücktheit und Genialität komplett.

Glyndebournes Geheimnis

Das ist die oft erzählte Vor- und Frühgeschichte des Glyndebourne Festival, von der die drei legendären Mozart-Opern-Einspielungen unter Fritz Buschs Leitung dauerhaft Zeugnis ablegen: "Figaro", "Cosi fan tutte", "Don Giovanni". Eindeutig die "trademark" Glyndebourne, wo das lange, intensive und (im Idealfall, die früheren Mitarbeiter in der zweiten Reihe sorgten dafür) penible Studieren Nuancen und Finessen möglich macht, die im Opernalltag meist unter den Tisch fallen, tragen auch noch die mit Liebe und Esprit musizierten Rossini-Aufnahmen, die nach dem Tod Fritz Buschs sein Nachfolger Vittorio Gui mit dem Glyndebourner Ensemble der 1950er Jahre musizierte.

Wenn dort "Stars" im Einsatz sind, haben sie dennoch nicht nur auf einen Sprung vorbeigeschaut, sondern sich den eisernen Festival-Regeln unterzogen - und damit vielen, vielen Proben im holzgetäfelten, britische Nobel-Landhausatmosphäre ausatmenden Organ Room.

Neue Live-CD-Edition

Jetzt, zum 75-Jahr-Jubiläum, haben alle diese seit langem geliebten tönenden Glyndebourne-Dokumente Gesellschaft erhalten: in Form der ersten Tranchen einer vom Festival selbst edierten CD-Edition, deren Aufnahmen live von der Bühne des Festspielhauses kommen.

Zu danken ist das John Barnes, der ab den späten 1950er Jahren buchstäblich Tausende Aufführungen auf Tonband mitgeschnitten hat, so gut, wie es die Technik der Zeit jeweils erlaubte. Aus dem Sommer 1962 kommt etwa ein von Silvio Varviso geleiteter "Nozze di Figaro", bei dem als Susanna die junge Mirella Freni brilliert, obwohl Leyla Gencer - eine ungewöhnliche Besetzung für die Gräfin! - die Prominenteste am Besetzungszettel war.

Noch war Mitarbeiter-"Urgestein" am Werk wie der unerbittliche Korrepetitor Jani Strasser, der 30 Jahre davor in Wien schon mit Audrey Mildmay gearbeitet hatte, der singenden Frau des Festivalgründers, und Mirella Freni und der Graf Gabriel Bacquier werfen sich die Pointen so elegant zu, wie man es nicht alle Tage erlebt. Und das Publikum geht mit, freut sich, lacht - ganz ohne Übertitel! Mozart frisch, lebendig, kammerspielhaft, human: ein "Figaro" im Geiste Fritz Buschs.

Vittorio Gui mit "Pelleas et Melisande"

"Nicht nur das Beste, was wir zusammenbringen, sondern das Beste, das überhaupt möglich ist", wollten John Christie und Audrey Mildmay in den 1930er Jahren mit Oper in Glyndebourne bieten. Diesem Anspruch genügte 1963 jedenfalls die noch von Carl Ebert inszenierte Produktion von Claude Debussys "Pelleas et Melisande", bei den man den Festival-Musikchef Vittorio Gui, den einst noch Bruno Walter zu den Salzburger Festspielen gebracht hatte, mit für ihn ungewohntem Repertoire erleben kann.

Gui passte blendend nach Glyndebourne, ließ dort Mozart, aber auch seinen geliebten Rossini funkeln, und brachte einen "Falstaff", der sich dem Toscaninis und Karajans zur Seite stellt. Seine Melisande war die durch ihre Zusammenarbeit mit Francis Poulenc berühmte Denise Duval - eine attraktive Besetzungsvariante zu den bisher auf Platten festgehaltenen französischen Melisande-Interpretinnen der Ära.

Festival-Gegenwart
Es grünt und blüht noch immer rund um den stattlichen Landsitz der Christies mit seiner typischen Stein-Architektur, es wird weiterhin in den nach Bayreuther Muster dimensionierten Pausen am gepflegten Rasen gepicknickt, aber das heute in Glyndebourne bespielte Festspielhaus fasst um 1.000 Menschen mehr als das der Pionierjahre. Ein Teil des Reizes ist da natürlich dahin. Und die Saison dauert mehr als drei Monate - alles ist größer geworden, normaler, Opernbetrieb-mäßiger, auch wenn Glyndebourne immer noch gut ist im Entdecken junger Künstler von morgen.

Und als Nina Stemme 2003 ihre erste sensationelle Isolde in Glyndebourne sang, schloss sich zugleich ein Kreis: denn schon Sir John Christie hatte die Nebelmaschine für den "Ring des Nibelungen" im Keller stehen. Wagner wäre sein Traum für Glyndebourne gewesen. Heuer, bei der Wiederaufnahme, war die Sopranistin Anja Kampe die Glyndebourner Isolde, der Tenor Torsten Kerl der Tristan. Beiden begegnet man bei einem weiteren Baustein der neuen Glyndebourne-CD-Edition wieder: einem 2006 live mitgeschnittenen "Fidelio" unter Mark Elder. Fortsetzung folgt! - spätestens 2010, wenn der "genius loci" von Glyndebourne wieder Zehntausende Opernfans nach Sussex aufs Land zieht.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 3. September 2009, 15:06 Uhr

CD-Tipps
"Figaro", Glyndebourne Festival Opera CD 00162

"Pelleas", Glyndebourne Festival Opera CD00363

"Fidelio", Glyndebourne Festival Opera CD00406

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