Neuverfilmung des Joseph-Godey-Krimis

Die Entführung der U-Bahn Pelham 123

Tony Scott hat den coolen 1970er Thriller zeitgeistig aufpoliert und mit Denzel Washington und John Travolta besetzt. Die Handlung ist dieselbe: Ein New Yorker U-Bahnzug wird entführt, die Vermittler haben eine Stunde Zeit, um das Lösegeld zu liefern.

Bernard Ryder setzt Walter Garber unter Druck

Geht es nach Hollywood, dann ist die Traumfabrik schon seit Jahren in der Krise. Deshalb regiert im Becken von Los Angeles eine beinharte Risikovermeidungspolitik: Anstatt junge Autoren beim Entwickeln von neuen Ideen zu unterstützen, setzen die großen Studios vor allem auf das Melken von früheren Erfolgen.

Neben zahllosen Fortsetzungen begünstigen die Produktionsplaner daher zurzeit vor allem Remakes: weil sie in den meisten Fällen kostengünstig herzustellen sind; vor allem aber, da sie eine Zielgruppenerweiterung ermöglichen.

Ob sich Klassiker-Liebhaber und jugendliche Kinogänger gleichermaßen anstellen werden, um "Die Entführung der U-Bahn Pelham 123" zu sehen, wird sich zeigen.

Zehn Millionen Dollar Lösegeld

Der U-Bahnzug Pelham 123 ist zwischen zwei Stationen zum Stillstand gekommen. Vier bewaffnete Männer patrouillieren die Waggons. Ihr Anführer ist Bernard Ryder, gespielt von einem launigen John Travolta, ein gefallener Wertpapierhändler, der aufgrund windiger Geschäfte im Gefängnis gelandet ist. Zehn Millionen Dollar fordert er von der Stadt New York für die Fahrgäste im Waggon. Binnen einer Stunde muss das Geld geliefert werden. Ansonsten stirbt eine Geisel pro Minute.

Am anderen Ende des Funkgeräts sitzt Fahrdienstleiter Walter Garber, dargestellt von Denzel Washington, gegen den gerade ein Verfahren wegen Betrugsverdachts läuft. Er soll Schmiergeld angenommen haben. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Beziehung.

Bestseller-Krimi als Vorlage

Genau genommen ist Tony Scotts Thriller kein Remake: Drehbuchautor Brian Helgeland verwendet nur denselben Roman als Ausgangsmaterial wie der frühere Film. 1973 veröffentlicht der US-Schriftsteller Joseph Godey seinen Krimi "Abfahrt Pelham, 1 Uhr 23", der sich innerhalb kurzer Zeit zum Bestseller entwickelt.

Ein Jahr später bringt Hollywood schon die Verfilmung "Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123!" in die Kinos, die den lakonischen Tonfall der Vorlage beibehält. Walter Matthau brilliert darin als grantiger Polizist, der die Verhandlungen mit dem von Robert Shaw gespielten Gauner führt.

Angetrieben von David Shires knackigem Jazz-Soundtrack und geprägt vom wortwitzigen Dialogbuch, ist "Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123!" ein verdienter Klassiker des amerikanischen Spannungskinos. Der damalige Regisseur Joseph Sargent inszenierte ebenso pragmatisch wie jetzt Tony Scott.

Interessante Schuldfragen

In der Neuverfilmung ergeben sich allein aufgrund der Vergegenwärtigung der Figuren und des Schauplatzes neue Interpretationsebenen. So stellt Travoltas krimineller Geschäftsmann spannende Schuldfragen: Ist es schlimmer, von einer Stadt Lösegeld zu erpressen oder tagtäglich mit imaginärem Kapital an der Börse zu spekulieren?

Vom Werbe- zum Kinofilm

Regisseur Tony Scott ist vorrangig ein Bilderstürmer, erst dann ein Geschichtenerzähler: Die Filme des 65-jährigen Bruders von Ridley Scott sind geprägt von frenetischen Schnittwechseln und einem schnellen Rhythmus.

Sein Handwerk lernte er als Werbefilmer, daher rührt auch seine Faszination und Begabung für hyper-stilisierte Bildkompositionen.

Misstrauen in Politik und Wirtschaft

"Die Entführung der U-Bahn Pelham 123" ist nicht der erste von Tony Scotts Filmen, der sich auf das Kino der 1970er Jahre bezieht. 1998 dreht er den erfolgreichen Paranoia-Thriller "Der Staatsfeind Nummer 1": Will Smith spielt darin einen obrigkeitsgläubigen Mann, der plötzlich zum meist gesuchten Verbrecher der USA erklärt wird. "Der Staatsfeind Nummer Eins" ist modelliert nach klassischen Verschwörungskrimis und funktioniert sowohl als glatter Spannungsfilm wie als Kritik an der Überwachungsgesellschaft - und das drei Jahre vor 9/11.

Mit Travoltas ambivalent gezeichnetem Spekulanten-Gauner schlägt Scott jetzt in dieselbe Kerbe. Unter der glatten Oberfläche von "Die Entführung der U-Bahn Pelham 123" sitzt das Misstrauen in Politik und Wirtschaft: Wenn die grauen Herren mit ihren Beratern hinter verschlossenen Türen diskutieren, ist man beinahe froh über einen greifbaren Gauner wie Bernard Ryder, mit dem man reden und den man bekämpfen kann.

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Sony Pictures - Die Entführung der U-Bahn Pelham 123