Italiens umstrittene Sicherheitspolitik
Mit Bürgerwehren gegen illegale Einwanderer
Seit Juli dürfen in Italien unbewaffnete Bürgerwehren patrouillieren. Gleichzeitig wurde das Fremdenrecht verschärft: Illegale Einwanderung wird als Straftat geahndet und Flüchtlinge werden auf hoher See abgefangen. Heftige Kritik kommt von UNO und EU.
8. April 2017, 21:58
157 Ja-Stimmen gegen 124 Nein-Stimmen - so hatte Anfang Juli der Senat in Rom über das viel diskutierte Sicherheitspaket entschieden. Das umstrittene Dekret wurde damit endgültig zum Gesetz. "Ein Gesetz, das ich wollte, um den Bürgern Ruhe zu garantieren", meinte Ministerpräsident Silvio Berlusconi.
Anders als die Regierung sprach die Opposition von einem Schaden für das Land. Auch der Vatikan warnte: Diese Normen, die unter anderem Bürgerwehren legalisieren und das Fremdenrecht verschärfen, werden viel Leid mit sich bringen. Eine Aussage, die der Jesuit Giovanni La Manna unterstreicht: "Das Sicherheitspaket hat keinen Sinn. Denn es bestraft die Menschen, die bereits in Italien sind. Menschen, die es verdienen würden, integriert zu werden."
Unternehmen profitieren von Ausländern
Der Jesuit La Manna leitet im Herzen Roms ein Zentrum für Einwanderer und Flüchtlinge. Wer hierher kommt, bekommt nicht nur ein Bett, eine warme Mahlzeit und medizinische Versorgung. La Manna und seine Mitarbeiter helfen auch, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Und sie versuchen mittels Informationskampagnen, die Vorurteile der Bevölkerung zu bekämpfen.
"Angst und Rassismus entstehen, weil sie als Schlachtross einer politischen Minderheit dienen", erklärt Manna, "interessant dabei ist, dass diese politische Haltung sich gerade dort ausbreitet, wo die Anzahl der Unternehmer, die auf ausländische Arbeitskräfte zurückgreift, am größten ist."
Diese politische Minderheit ist Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord. Und die Regionen, die verstärkt auf ausländische Arbeitskräfte setzen sind das Veneto und die Lombardei. Die Kerngebiete von Umberto Bossis prosperierendem Padanien also, das glaubt, sich gegen Ausländer mittels Bürgerwehren schützen zu müssen - jener umstrittenen Einrichtung, die bereits lange vor dem Inkrafttreten des Sicherheitspaketes angewandt wurde.
Legalisierung der Mafia?
Laut Gesetz können Bürgerwehren dem Staat bei der Verbrechensbekämpfung zur Seite stehen. Offiziell angemeldet und unbewaffnet. Dass sich dabei im Norden Partei-Patrouillen bilden, die systematisch das Straßenbild prägen, kann dadurch nicht verhindert werden. Und für den Süden des Landes fürchten Kritiker, dass sich die Mafia die neue Rechtsform aneignen könnte, um so ganz legal ihre Herrschaft zu erweitern.
Flucht wird zum Verbrechen
Schuld an dem ganzen sei unter anderem eine massive Negativ-Berichterstattung der italienischen Medien, meinen manche Kritiker. Diese Panikmache sei vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik zu spüren.
Durch das neue Gesetz wird illegale Einwanderung als Straftat geahndet. Das heißt: Wer ohne gültige Papiere einreist, der muss bis zu 10.000 Euro Strafe zahlen. Vermietern, die Ausländern ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Wohnung überlassen, drohen bis zu drei Jahren Haft.
Das neue Gesetz, legt außerdem fest, dass Einwanderer bis zu einem halben Jahr in Auffanglagern festgehalten werden können. Früher waren es maximal 60 Tage. Eine Ansammlung verfehlter Ansätze, kritisiert die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats in Italien, Laura Boldrini:"75 Prozent der Menschen, die im vergangenen Jahr über das Meer gekommen sind, haben einen Asylantrag gestellt. Und der italienische Staat hat der Hälfte davon auch Schutz gewährt. Das bedeutet: jemand, der riskiert im Meer umzukommen, flieht vor Kriegen und Menschenrechtsverletzungen. Er hat keine Wahl."
Verstoß gegen Genfer Flüchtlingskonvention
Für heftige Kritik sorgt aber vor allem die neue Rückschiebepraxis. Das heißt: Bootsflüchtlinge, die Italien über das Mittelmeer zu erreichen versuchen, werden von der italienischen Küstenwache auf hoher See abgefangen.
Sie werden meist nach Libyen zurückgeschickt. Dabei hätten viele der Abgeschobenen vor, einen Asylantrag zu stellen, erklärt Laura Boldrini. Sie kommen häufig aus gefährdeten Ländern, wie Somalia und Eritrea: "Diese Menschen, werden auf den italienischen Schnellbooten gar nicht identifiziert und können daher keinen Antrag stellen."
Italiens Auffanglager, wie zum Beispiel auf Lampedusa, sind daher fast leer und die Asylanträge nehmen ab. Die Regierung verkauft dies als Erfolg, verstößt dabei aber gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, betont auch Gabriele del Grande von der Menschenrechtsorganisation Fortress Europe.
Sie macht sich vor allem Sorgen um das Schicksal der politischen Flüchtlinge. Libyen schicke zwar Ägypter, Tunesier und Nigerianer binnen weniger Wochen in ihre Länder zurück, lasse sich bei politischen Flüchtlingen aber Zeit. 600 Eritreer warten bereits seit drei Jahren in libyschen Gefängnissen: "Das sind Menschen, die in Europa Anrecht auf Asyl hätten. Wenn sie aber zurückgeschoben werden, verrotten sie jahrelang in Gefängnissen."
Nicht EU-konform
Für die, die es doch nach Italien schaffen, wird es in jedem Fall viel schwieriger. Ohne Aufenthaltstitel können keine Ehen geschlossen werden. Und auch in Italien geborenen Kindern von illegalen Einwanderern droht ein Schattendasein. Sie können nicht registriert werden und erhalten daher keine offiziellen Geburtsurkunden. Der italienische Flüchtlingsrat fürchtet, das Gesetzespaket der Regierung Berlusconi fördere eine unnötige Kriminalisierung.
Auch die Europäische Union hat mehrfach Bedenken geäußert. Und sich nun nach längerem Abwegen nun eindeutig geäußert. EU-Justizkommissar Jacques Barrot forderte Italien auf, die Richtlinien der EU zu respektieren. Demnach ist jegliche Rückschiebung von Flüchtlingen in jene Länder verboten, in denen ihnen eine unmenschliche Behandlung drohen könnte. Europa habe vielmehr die Pflicht, Menschen in Not zu schützen.
Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 18. September 2009, 18:20 Uhr
Links
Fortress Europe