Demokratie gegen Nationalsozialismus

Ich spiele um mein Leben

Es stand einiges am Spiel beim Tenniswettkampf Don Budge (USA) gegen Gottfried von Cramm (Deutschland) am 20. Juli 1937. Dieses Davis-Cup-Aufeinandertreffen gilt als eines der besten der Geschichte, Marshall Jon Fisher hat es neu aufbereitet.

Unterschiedlicher hätten die beiden Spieler, die sich an diesem 20. Juli 1937 gegenüber standen, kaum sein können. Auf der einen Seite Baron Gottfried von Cramm. Er stammte aus einem alten deutschen Adelsgeschlecht, war groß gewachsen und der perfekte Gentleman. Auf der anderen Seite Don Budge, die neue große amerikanische Tennishoffnung. Zweifelsfrei ist er sympathisch, doch abseits des Tenniscourts wirkt er recht unbedarft.

Erst vor einem Jahr hat er die Highschool abgeschlossen, er hört mir Vorliebe Bing Crosby und trinkt nichts, was stärker ist als Milch. Was ihn aber am deutlichsten von seinem Gegner unterscheidet: das Aussehen. Baron von Cramm begeistert bei jedem Match die weiblichen Zuseher - und nicht nur sie. Über Don Budges Äußeres hingegen machen sich sogar die amerikanischen Medien lustig. Im Nachrichtenmagazin "Time" heißt es:

Die Chancen des amerikanischen Daviscup-Teams beruhen im Wesentlichen auf seinem neuesten, hässlichsten und jüngsten Mitglied. Don Budge ist ein träger, sanfter Junge, so unansehnlich, dass selbst seine Mutter lächeln musste, als ein Freund meinte, ihr Sohn sei, wenn nicht der beste, so doch sicherlich der hässlichste Tennisspieler der Welt.

Das alles entscheidende Spiel

An diesem strahlenden Sommertag stehen sich in Wimbledon nicht nur die Nummer 1 und die Nummer 2 der Weltrangliste gegenüber; es ist auch ein Kampf der unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme. Hier die demokratischen USA, dort das faschistische Deutschland. Baron von Cramm gegen Don Budge ist das fünfte und entscheidende Spiel im Interzonen-Finale des Davis Cup. Wer dieses Match gewinnt, darf im Finale gegen Großbritannien antreten. Und da das Team des Titelverteidigers in diesem Jahr äußerst schwach ist, steht fest: Wer dieses Match gewinnt, wird den Davis Cup gewinnen, den wichtigsten und bedeutendsten Tennis-Teamwettbewerb.

Für Gottfried von Cramm aber geht es in diesem Spiel um viel mehr als um sportlichen Lorbeer. Cramm ist in Deutschland ein äußerst populärer Sportler. Die höchsten Repräsentanten des nationalsozialistischen Regimes stehen hinter ihm. Aber Cramm hat ein dunkles Geheimnis. Er ist homosexuell. Und lebt deshalb ein Doppelleben. Nach außen der begehrenswerte Tennisspieler, der mit den schönsten Frauen posiert, im Geheimen aber ein Mensch, der sich im Berlin der 1920er Jahre in Schwulenbars verschiedensten Ausschweifungen hingibt.

Kein Parteimitglied

Homosexualität wurde im Nationalsozialismus mit brutaler Gewalt bekämpft, von Cramm wusste also, dass er nur so lange vor Verfolgung sicher war, solange er gewann. Erschwerend kam hinzu, dass von Cramm es immer abgelehnt hatte, der NSDAP beizutreten. Obwohl ihn Göring, der ein leidenschaftlicher Tennisspieler war, immer wieder dazu aufgefordert hatte.

Cramms prinzipientreue Hartnäckigkeit in der Ablehnung bot den Stoff für eine zweifelhafte Geschichte, die in späteren Jahren oft wiederholt und gedruckt werden sollte: Göring habe ihm die Hypotheken jüdischer Banken präsentiert, mit denen verschiedene Güter der Cramms belastet waren und zerrissen. "Nun sind sie frei", eröffnete er dem Baron. "Wenn die Nationalsozialisten so ihre Geschäfte erledigen", soll Cramm angeblich geantwortet haben, "werde ich niemals der Partei beitreten.

Fünf Matchbälle

Das Match Budge gegen Cramm gilt als eines der besten der Geschichte. Über fünf Sätze bekämpfen sich die beiden. In den Vereinigten Staaten gehen Tausende nicht zur Arbeit, um das Spiel zu Hause im Radio zu verfolgen. Mehrere Matchbälle hat Don Budge in diesem fünften Satz, aber Cramm rettet sich - wie die Pressevertreter schreiben - "mit einer Folge der herrlichsten Bälle, die je auf einem Tennisplatz zu sehen waren."

Doch dann der fünfte Matchball: Ein langes Duell, Cramm schlägt einen herrlichen Passierball und läuft zum Netz. Im Fallen erreicht Budge noch den Ball und retourniert ihn unerreichbar. Das größte Match aller Zeiten ist geschlagen. Die USA haben Deutschland 3:2 besiegt und gewinnen - wie es vorhergesagt wurde - ohne Mühe gegen Großbritannien den Davis Cup.

Ein Jahr später saß Gottfried von Cramm im Gefängnis. Und Don Budge fehlte nur noch ein einziger Turniersieg, um den ersten Grand Slam der Geschichte zu gewinnen.

Während Don Budge zum größten Tennisspieler seiner Zeit aufstieg, sich mit aufreizenden Frauen umgab und sich einer Schönheitsoperation unterzog, wurde Cramm am 5. März 1938 von der Gestapo verhaftet und wegen homosexueller Beziehungen zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt.

Biografie zweier großer Sportler

Die amerikanische Kritik hat Marshall Jon Fischers Buch in den höchsten Tönen gelobt. "Als eines der besten je geschriebenen Tennisbücher" wurde es da bezeichnet. Und wirklich schafft es Marshall nicht nur, das Spiel an sich packend und faszinierend zu beschreiben: Er lässt das Berlin der 1920er Jahre wieder auferstehen, beschreibt die Gefahren, derer sich Homosexuelle ausgesetzt sahen, zeigt, wie sich der Tennissport entwickelt hat, und liefert die Biografie zweier großer Sportler. "Ich spiele um mein Leben" ist nicht nur das Buch über ein atemberaubendes Tennismatch, es ist auch genauso spannend wie ein solches.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Marshall Jon Fisher, "Ich spiele um mein Leben", aus dem Amerikanischen übersetzt von Clemens Brunn und Maximilien Vogel, Osburg Verlag

Links
Osburg Verlag - Ich spiele um mein Leben
Davis Cup