Wo ist Heimat?

Die Sehnsucht nach Zuhause

Schlimm genug, wenn man sein Zuhause verlassen muss, um zu überleben. Aber fast noch schlimmer ist es für viele, wenn sie zurückkommen - und nichts ist, wie es war. Zur Entwurzelung kommt Ausgrenzung. Die "Heimat" ist endgültig verloren.

Solange es Flüchtlinge gibt, wird es Schreibende unter ihnen geben. Und ebenso gewiss ist, dass sich Geschichten, Gedichte, Romane mit Heimat, Heimkehren, Nach-Hause-kommen, Zurück-geschickt-werden auseinandersetzen werden. Mit dem Sich-auseinander-entwickelt-haben. Mit dem Stehen-geblieben-sein. Mit dem Leiden an oder um das ehemalige Zuhause.

Das Recht auf Neuanfang

Wie sinnvoll ist es, in ein Land zurückkehren zu wollen, das es nicht mehr gibt? Sollte man nicht eher die Realität akzeptieren und woanders neu beginnen? Das meint der Ich-Erzähler im Roman "Die Illusion der Rückkehr" von Samir El-youssef, der im Libanon in einem palästinensischen Flüchtlingslager geborenen wurde - weshalb er auch gleich auf den ersten Seiten von Landsleuten zusammengeschlagen wird.

Als sich ein alter Freund bei ihm in London meldet und ihn nach 17 Jahren wieder treffen möchte, kommen all die quälenden Erinnerungen wieder, Leid und Schmerz, Verrat und Tod, als hätten sie nur darauf gewartet, wieder aufzuwachen, als wäre keine lange Zeit im Exil vergangen. Das Treffen endet tröstlich, versöhnlich. Es gibt kein Recht auf Rückkehr, meint der Freund, nur ein Recht auf einen neuen Anfang.

In der Heimat ein Versager

Einen neuen Anfang erhoffte sich Moussa, ein junger Fußballer aus dem Senegal - Nebenfigur im Roman "Der Bauch des Ozeans" von Fatou Diome. Er hat einen Platz in der Nationalmannschaft ausgeschlagen, nur um in Europa spielen zu dürfen. Doch der Verein, bei dem er Unterschlupf gefunden hat, ließ ihn auf der Reservebank versauern, und das eine Mal, als er dann doch eingesetzt wird, ist er so nervös, dass er versagt.

Er fliegt aus der Mannschaft, muss einen Riesenberg Schulden abarbeiten, denn der Talentsucher, der ihn nach Europa gebracht hat, will das Geld zurück, das er angeblich in Moussas Karriere gesteckt hat. Als Moussa endlich wieder zu Hause ist, gilt er als absoluter Versager und hat keine Chance auf einen Neubeginn. Er sucht schließlich im "bitteren Bauch" des Ozeans sein "weiches Lager".

Die "Anderen"

Wenn die Alten fern von der Heimat sterben, und die Jungen in der neuen Heimat nicht Wurzeln schlagen dürfen, dann scheint es nur sinnvoll zu sein, die Jungen wieder in die Heimat der Alten zurückzuschicken. Aber auch wenn sich "die Jungen" aus leidvoller Erfahrung auf ihre alte neue Heimat einzustellen versuchen, bleiben sie doch wieder die "Anderen", die Fremden. Das hat zum Beispiel die Russland-deutsche Schriftstellerin Eleonora Hummel erlebt.

In einem Interview erzählt sie: "Ich war elf, als wir in der damaligen DDR, in Dresden, ankamen, aber für mich hat sich eigentlich nichts geändert. Denn in Russland war ich immer die 'Faschistin', weil ich einen deutschen Namen hatte - obwohl ich darauf bestanden habe, dass mein Name ganz gewöhnlich und überhaupt nicht deutsch ist. Ich konnte nicht einmal Deutsch! Das habe ich verdrängt, obwohl meine Großmutter mit uns Deutsch gesprochen hat. Meine Eltern trösteten mich und meinten, in Deutschland, da wären wir dann bei den Unsrigen, da würde alles ganz anders. War's aber nicht. In Dresden war ich dann 'Die Russin'. Ich sprach ja auch kein Deutsch. Schlimm war, was mir der Junge angetan hat, in den ich so verliebt war. Als ich den Mut hatte, ganz nah an ihm vorbei zu gehen, sagte er ganz laut zu seinen Kumpels: 'Da stinkt's wieder nach Russin!' Das war das Ende meiner ersten Liebe."

In ihrem Roman "Die Fische von Berlin" erzählt sie von einer russisch-deutschen Familie, dem Hin und Her zwischen zwei Staaten, dem Ausgegrenzt-sein in beiden "Heimaten", der Flucht, dem Neubeginn - und der Hoffnung, das Neue könnte doch "Heimat" werden.

Service

Samir El-youssef, "Die Illusion der Rückkehr", Sammlung Luchterhand

Fatou Diome, "Der Bauch des Ozeans", Diogenes

Eleonora Hummel, "Die Fische von Berlin", Steidl Verlag