Überbordend theatralisch

Les contes d'Hoffmann

Neu auf CD, in der Reihe "Salzburger Festspieldokumente": "Hoffmanns Erzählungen" in einem Live-Mitschnitt von 1980, in dem Placido Domingo als Hoffmann mitreißender Mittelpunkt ist, Catherine Malfitano an Leidenschaft aber nichts schuldig bleibt.

Placido Domingo in "Les contes d'Hoffmann"

Diese Salzburger Festspielaufführung von "Hoffmanns Erzählungen" ist in Erinnerung geblieben: Regisseur Jean-Pierre Ponnelle hatte Salzburg davor mit seiner Version der "Zauberflöte" bereits eine von allen geliebte Erfolgsproduktion geschenkt, ehe er 1980 die Offenbach-Oper in überbordender Opulenz auf die Breitwandbühne des großen Festspielhauses stellte.

Mit "wuchernder" Phantasie, so eine Wiener Kritikerin, waren das Dekorative wie das Gespenstische ausgemalt, mit dem Risiko, dass der Hintergrund, vor dem sich Hoffmanns traumhaft-bizarre Frauenbegegnungen abspielen, manchmal zum Vordergrund wurde.

Ein fast traditioneller "Hoffmann"

Schon bei der "Zauberflöte" (und davor bei "Titus") war in Salzburg James Levine Jean-Pierre Ponnelles Partner am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker gewesen, Spitzname: "Kugelblitz". Bei "Les contes d'Hoffmann" ging es vor der Premiere 1980 zunächst darum, aus dem Wust tradierten Materials des von Offenbach unvollendet hinterlassenen, von Bearbeitern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein immer weiter zurechtgekneteten Werkes eine spielbare Fassung zu erstellen - die kritische Notenedition von Fritz Oeser, die alle bis dahin bekannten Quellen offenlegte, war eben erschienen und schlug eine neue Seite in der Rezeptionsgeschichte der Oper auf.

Ponnelle und Levine pickten sich aus ihr einige charakteristische Episoden heraus, folgten im wesentlichen aber weiter der "Highlight"-seligen traditionellen Choudens-Version, die sich seit Jahrzehnten in die Ohren der Opernfans gesungen hatte: Sie ist auf die Hauptpersonen fokussiert, reiht eine musikalische Perle an die andere und sorgt für einen kompakten, zeitlich nicht ausufernden Opernabend.

Placido Domingos tour de force

Die Salzburger Festspiele hatten aber für diesen "Hoffmann" auch einen Titelrollen-Interpreten aufgeboten, der alle Aufmerksamkeit auf sich zog: Placido Domingo, in der Zeit seiner Wiener "Carmen"- und "Andrea Chenier"-Premieren strahlender Publikumsliebling, für "Les contes d'Hoffmann" außerdem (dank "Weight Watchers", wie überall zu lesen stand) sichtlich erschlankt.

Ist es eine Mär', dass Abmagerungskuren immer "auf die Stimme gehen"? Man hat Domingos Salzburger Premieren-Hoffmann als eine grandiose tour de force in Erinnerung, als einen mitreißenden stimmlichen Kraftakt mit einigen ertrotzen hohen Noten. Beim Wieder-Hören seines leidenschaftlichen Rollenportraits, das nun auf CDs der bekannten ORFEO-Serie von Salzburger "Festspieldokumenten" verewigt ist, treten diese Momente vollkommen in den Hintergrund gegenüber der imponierenden Energie, mit der sich Domingo die Partie zu Eigen macht.

Leidenschaftliche Sing-Schauspielerin Catherine Malfitano
Aus dem Gedächtnis der Opernfreunde getilgt ist die Sängerin, der bei den Festspielen 1980 sämtliche Primadonnen-Rollen der Oper anvertraut waren: die damit überforderte Edda Moser. Auch bei der CD-Edition wurde deswegen auf den ORF-Mitschnitt der Reprise 1981 zurückgegriffen, die das Salzburg-Debut von Catherine Malfitano brachte. Egal, ob als Olympia, Antonia, Giulietta oder Stella: Catherine Malfitano liefert sich mit Placido Domingo Intensitäts-Wettkämpfe - eine Sing-Schauspielerin, deren Rollenportraits dennoch auch ohne die optische Komponente fesseln.

Für die diabolischen Fädenzieher von Coppelius bis Dappertutto ist mit José van Dam einer von Karajans Lieblingssängern der Zeit im Einsatz, noch mehr aber sticht aus dem Ensemble der mit glühender jugendlicher Emphase gesungene Nicklausse von Ann Murray heraus. Und James Levine heizt Philharmonikern und Staatsopernchor so ein, wie man es von ihm erwartet. Wer "Hoffmann" (fast) traditionell und "live" mag, wird sich an dieser Aufnahme nicht so bald satthören.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 1. Oktober 2009, 15:06 Uhr

CD-Tipp
Jacques Offenbach, "Les contes d'Hoffmann", Orfeo

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