Verdi-Bariton Piero Cappuccilli
Bariton in Tenor-Regionen
Er war Bariton, konnte jedoch ein trompetenhaftes hohes B in den Saal schleudern: Piero Cappuccilli. Von den 1960er Jahren zählte er rund drei Jahrzehnte lang zu den international gefragtesten italienischen Sängern seiner Stimmlage.
8. April 2017, 21:58
Als er bei der Erstaufführung von Giuseppe Verdis "Attila" an der Wiener Staatsoper unter Giuseppe Sinopoli im Dezember 1980 die Cabaletta des Ezio sang und dabei am Schluss ein trompetenhaftes hohes B in den Saal schleuderte, stand das ganze Haus plötzlich Kopf, die Bis-Rufe fanden erst ein Ende, als Piero Cappuccilli diese Cabaletta wiederholte und sie mit einem noch strahlenderen B beendete.
Ein Ritual, das sich noch in einigen Folgevorstellungen wiederholen sollte - ganz im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten der Staatsoper, wo solche "Zirkus-Kunststücke" eigentlich weniger gerne gesehen sind. Aber Cappuccilli war eben an sich ein Ausnahmekünstler, und so konnte er sich auch diese Ausnahme leisten.
Typische Verdi-Stimmen
Doch waren es nicht solche Ausflüge in Tenorregionen, die ihn zum großen Verdi-Sänger werden ließen, dazu bedurfte es schon diffizilerer Mittel. "Verdi passt zu meiner Stimme", verriet der am 9. November 1929 in Triest geborene Piero Cappuccilli der Musikjournalistin Helena Matheopoulos in einem Interview in den 1980er Jahren: "Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, wenn ich seine Rollen singe, die zwar extrem anspruchsvoll, aber trotzdem sehr gut auf die Stimme geschrieben sind."
Und er beklagte gleichzeitig den eklatanten Mangel an typisch italienischen Verdi-Stimmen, der nach wie vor gegeben scheint: "Das Problem ist, dass die Stimmen heutzutage an einem Ende der Skala meistens ‚schmal‘ sind, und damit liegen bestimmte Rollen wie etwa der Conte di Luna in 'Il trovatore' automatisch jenseits ihrer Möglichkeiten. Es fehlt ihnen auch die Substanz, Intensität und Spannkraft, die man mit dem Klang eines wahren Verdi-Baritons assoziiert. Bei Tagliabue, Galeffi und Stracciari war das so. Aber leider scheint Italien keine solchen Stimmen mehr hervorzubringen."
Architektur versus Gesang
Zu den Grundpfeilern seiner stets sonor und volltönenden Baritonstimme zählte vor allem seine phänomenale Atemtechnik, die auch Kollegen immer wieder bestaunten, und die er selbst auf seine jugendlichen Sportambitionen als Taucher zurückführte. Damals war allerdings noch keine Rede davon, dass er einmal Opernsänger werden sollte, ganz im Gegenteil, diese Art von Musik hat ihn nicht im geringsten interessiert. In seiner Familie aber gab es in Person von Großvater und Onkel leidenschaftliche Opernenthusiasten, und die erkannten bei seinem Schmettern von Filmschlagern und populären Canzonen das stimmliche Potential, das ihn ihm schlummerte. Trotzdem bedurfte es noch großer Überredungskünste, um den jungen Architekturstudenten in Richtung Oper zu steuern.
Ein prominenter Gesangslehrer, der von Capuccillis Qualitäten so begeistert gewesen ist, dass er ihn sogar gratis unterrichten wollte, gab schließlich den Ausschlag, und nur zwei Jahre später, das war Ende 1955, konnte er bereits den Korrepetitoren der Scala vorsingen und auch die waren von seiner Stimme sofort angetan. Dennoch sollte es noch fast ein Jahrzehnt lang dauern, bis er erstmals auf der Bühne der Scala stehen durfte, zu deren Stars er in der Folge zählen sollte.
Liebling in Wien
Capuccillis professionelles Debüt hat Anfang 1957 am Teatro Nuovo in Mailand stattgefunden, als Tonio in Leoncavallos "I Pagliacci". Es folgten Einladungen anderer italienischer Theater und bald auch erste Auslandsengagements. Schon 1960 erhält er eine Einladung an die MET, doch dieses Engagement verläuft weniger glücklich, er singt nur eine einzige Vorstellung und kehrt nie wieder zurück. 1966 tritt er erstmals an der Wiener Staatsoper auf - quasi als Nachfolger von Ettore Bastianini - und wird zu einem umjubelten Dauergast, ähnlich ist es in vielen anderen Opernhäusern rund um den Erdball.
Die berühmtesten Dirigenten reißen sich um ihn, bei Abbado und Karajan gehört er sozusagen zum innersten Kreis bevorzugter Künstler. Und immer wieder steht Verdi im Zentrum seines Wirkens; sein großer Wunsch, sich auch Wagner - zumindest den Fliegenden Holländer - zu erobern, aber geht nicht in Erfüllung. Die Zeit italienisch-sprachiger Wagner-Aufführungen ist vorbei, und die deutsche Sprache bleibt ein Hemmnis.
Tragischer Abschied
Berührend, ja erschütternd, war Cappuccillis letzter Wiener Auftritt, 1997 im Konzerthaus. Er hat da bei einem von Marcel Prawy moderierten Benefizkonzert mitgewirkt, hat sich an der Arie des Gerard aus Giordanos "Andrea Chenier" versucht, und das Ergebnis war ähnlich traurig wie sein letzter Staatsopernauftritt im Jahr 1994. Der einst so kraftstrotzende Künstler war nur mehr ein Schatten seiner selbst, körperlich wie stimmlich gezeichnet von den Folgen eines schweren Autounfalles Anfang der 1990er Jahre, der seine Karriere mit einem Schlag zunichte gemacht hatte.
Beim anschließenden Empfang saß er zusammen mit seinem 13 Jahre älteren Kollegen Giuseppe Taddei am Tisch, der damals zwar bereits über 80 war, im Gegensatz zu Cappuccilli aber immer noch ein Vollblutkünstler, der selbst in diesem Alter noch sein Publikum begeistern konnte. "Wir beide sind die letzten", meinte Cappuccilli zu Taddei, doch während Letzterer heuer in voller Frische seinen 93. Geburtstag feiern konnte, ist Piero Cappuccilli am 12. Juli 2005 in seiner Heimatstadt Triest gestorben, wo er noch einige Zeit unterrichtet und sein überzeugendes Credo an seine Schüler weitergegeben hat:
"Die einzige Absicherung für uns Sänger ist das Erlernen einer soliden Technik am Beginn unserer Karriere und dann das allmähliche Voranschreiten, bei dem wir nie über unsere stimmlichen Möglichkeiten hinausgehen dürfen. Das ist das einzige Mittel, um sich von Unsicherheiten, Lampenfieber und Ähnlichem zu befreien. Dann sind wir Herrscher über unsere Stimme und nicht umgekehrt."
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 3. November 2009, 15:06 Uhr