Die Bourgeoisie Amerikas

Der Schwimmer

Gleich für seinen ersten Roman, erschienen 1957, hat John Cheever den National Book Award bekommen. Für seine Kurzgeschichten erhielt der 1982 verstorbene Autor den Pulitzer-Preis. 20 davon wurden für den vorliegenden Band ausgewählt.

Als John Cheever 1982 starb, war er einer der berühmtesten amerikanischen Autoren seiner Zeit. Die Nachrufe waren sich einig, dass da gerade eine literarische Stimme verstummt war, deren Nachhall noch Jahrzehnte später zu hören sein werde.

Doch um den Autor, der als Chronist der amerikanischen Vorstadt galt, als Tschechow der Vororte, und der wie kein anderer die Träume und Sehnsüchte, den Alltag, die Verlogenheiten, die Affären und den Streit der gehobenen Mittelschicht aufzeigte - um John Cheever also wurde es sehr schnell sehr still. Was auch daran lag, dass Cheevers Geschichten, wie der Autor im Vorwort zum im Original bereits 1978 publizierten Erzählband "Der Schwimmer" feststellt, wie aus einer anderen Zeit wirken.

Hier treten noch Kettenraucher und Cocktailtrinker auf, die sich zum Mittagessen schon zwei, drei Martinis gönnen und am Abend, wenn sie auf die Vorortezüge warten, zwei weitere und dann, wenn sie die Züge endlich verlassen haben, zuhause noch einmal zwei, drei, vier.

Als nach Cheevers Tod seine Briefe veröffentlicht wurden, die Erinnerungen seiner Tochter und Auszüge seiner Tagebücher, da bekam die Öffentlichkeit ein ganz anders Bild des zu Lebzeiten so überzeugend wirkenden Cheevers präsentiert. Man erkannte einen Menschen, dessen Leben von Depressionen und Alkohol bestimmt war. Und von der Scham gegenüber der eigenen latenten Homosexualität. Der große Chronist der gehobenen Mittelklasse fürchtete nichts mehr, als aus eben jener Schicht ausgestoßen zu werden.

Vorurteile

Die Kurzgeschichte "Clancy im Turm zu Babel" handelt vom Aufzugsführer Clancy, der in einem schicken Wohnhaus in New York seinen Dienst tut. Er fühlt sich für alles zuständig, mischt sich ins Leben der Bewohner mehr ein, als diesen lieb ist. Und dann sieht er eines Tages, dass einer der Mieter, Mister Rowantree, mit einem jungen Mann zusammen ist. Clancy ist außer sich; er weigert sich, die beiden zu befördern und riskiert dafür, gefeuert zu werden.

Cheever charakterisiert die Vorurteile der weißen Mittelschicht gegenüber den Schwulen sehr direkt - und man kann diese Geschichte auch als Sublimierung seiner eigenen Angst vor dem Entdeckt-werden lesen.

Realismus und Surrealismus

In der Story "Das grauenvolle Radio" kauft Jim Westcost seiner Frau Irene ein teures neues Gerät, damit sie am Abend zusammen Musik hören können. Aber leider überträgt das Gerät nicht Chopin, sondern die Gespräche aus den anliegenden Wohnungen. Ehepaare streiten, eine Nachbarin empfängt ihren Liebhaber, ein Mann schlägt seine Frau. Irene kann gar nicht mehr vom Radio lassen, alles will sie wissen. Als das Gerät dann repariert wird und einwandfrei spielt, da macht sich im Hause Westcost die Stille breit.

Das titelgebende Stück "Der Schwimmer" gilt als die beste Kurzgeschichte von John Cheever. Hier vermischt der Autor Realismus und Surrealismus und lässt innere und äußere Zeit asynchron ablaufen. Es ist ein wunderschöner Sommertag als Neddy Merrill eine seltsame Idee hat. Um von einer Party heimzukommen beschließt er, nach Hause zu schwimmen. Was bedeutet, dass er auf dem Heimweg alle Swimmingpools der Nachbarn durchqueren will. Gesagt, getan und alles fängt fantastisch an. Glückliche Männer und Frauen versammeln sich an den saphirblauen Wassern, während ihnen weiß bejackte Männer kalten Gin reichen.

Neddy geht von einem Nachbarn zu anderen - alles kein Problem, schließlich mögen ihn ja alle. Doch nach und nach ändert die Geschichte ihre Anmutung. Da ist einmal die Überquerung der Straße, die nur äußerst mühsam gelingt und ewig zu dauern scheint. Neddy steht da in Badehosen und wird von den Autofahrern ausgelacht und erniedrigt. Dann kommt er in den Garten eines älteren Ehepaares, das ihm sein Beileid ausspricht. Angeblich ist sein Unternehmen pleite und die Frau hat ihn verlassen. Es wird immer kälter und irgendwann kommt Neddy endlich zu Hause an. Wo nichts mehr so ist, wie es vorher war.

Cheever-Renaissance

In den USA kam dieses Frühjahr eine fast 800 Seiten starke John-Cheever-Biografie von Blake Bailey auf den Markt. Und in der Library of America erschienen die gesammelten Romane und die gesammelten Kurzgeschichten Cheevers. Schön langsam scheint die Renaissance des Schriftstellers zu beginnen. Aber nicht mehr der Verherrlicher der Bourgeoisie ist interessant, sondern der gebrochene Autor. Der Schreiber, der es seiner Frau übel nimmt, dass sie es wagt, einen Job außerhalb des Haushalts zu suchen; der Mann, der es kaum erwarten kann, sich in der Früh den ersten Gin einzuschenken.

Im Sommer 1981 wurde bei John Cheever ein Tumor in der rechten Niere festgestellt. Im März 1982 erschien sein letzter Roman "Oh What a Paradise It Seems". Nur ein paar hundert Seiten stark - und wie auch Cheever wusste, eines seiner schlechtesten Werke. Besprochen wurde es trotzdem sehr respektvoll, wusste man doch, dass es um den Autor gar nicht gut stand. Am 27. April erhielt er noch die "National Medal for Literature" in der Carnegie Hall, bevor er am 18. Juni 1982 starb.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 18. Oktober 2009, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
John Cheever, "Der Schwimmer", aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel, DuMont Buchverlag

Link
DuMont - Der Schwimmer