Der Begründer der Ikonographie
Der Bilderforscher
Der Hamburger Aby Warburg ist einer der komplexesten Denker der Kunstgeschichte und er ist einer der wichtigsten Erneuerer des Faches. Er gilt als Begründer der Bildwissenschaft und der Ikonographie - also der Deutung von Bildmotiven.
8. April 2017, 21:58
Aby Warburg wurde 1866 in eine wohlhabende Hamburger Bankiersfamilie geboren. Er rebellierte gegen die Karrierewünsche seiner Eltern, denn er wollte nur eines: Kunstgeschichte studieren. 1891 promovierte er über Botticelli.
Ein Kunsthistoriker bei den Indianern
1895 fuhr Warburg nach Arizona, weil einer seiner Brüder dort heiratete. Er fand das Partyleben so langweilig, dass er sich entschloss die Pueblo Indianer zu besuchen - das wäre außer ihm keinem anderen Kunsthistoriker zu der Zeit eingefallen, sagt Karen Michels, Autorin des Buches "Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen". Warburg interessierte sich für die Formenwelt der Indianer und für ihre Rituale.
Damit fand Warburg sein großes Thema: nämlich wie Symbole und Bilder über Regionen und Zeiten wandern. Diese "Kulturpsychologie" hat ihn sein Leben lang beschäftigt. Warburg ging von der Idee aus, dass kein Werk für sich stehen kann.
Der Mnemosyne Bildatlas
Aby Warburg suchte nach einer Technik, mehrere Bilder gleichzeitig untersuchen zu können. Er steckte deshalb Bilder auf schwarze Tafeln und verschob sie immer wieder. Auf jede Tafel wurden Bilder mit denselben Motiven, mit denselben Gesten oder Emotionen aufgesteckt. Er nannte diesen Atlas den Mnemosyne Atlas. Mnemosyne ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie, und zwar die Göttin der Erinnerung. Revolutionär war auch der Gedanke, dass man Bilder nicht im Original betrachten muss.
Schreiben war allerdings nicht seine Stärke. Warburg hat nicht viele Texte verfasst. Demnächst wird im Suhrkamp Verlag ein Sammelband erscheinen. Ein großer Teil seines Nachlasses bestand aus Entwürfen, manchmal enthielt ein dickes Notizbuch nur verschiedene Kombinationen für einen einzigen Titel. Genauso wie er die Bildtafeln immer wieder umsteckte und veränderte, tüftelte er ewig an Texten. Wenn er nach langem Suchen keinen passenden Begriff fand, schuf er neue Worte, wie den "Denkraum" oder die "Pathosformel".
Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
Warburg kaufte wie verrückt Bücher, bis schließlich 60.000 Werke in der Bibliothek standen. Manche bezeichnen seine kulturwissenschaftliche Sammlung als sein Hauptwerk. Dass er so viel Geld für den Bücherkauf zur Verfügung hatte, verdankte er einem Geschäft, das er als 13-Jähriger abschlossen hatte- wie sich sein Bruder Max, der Leiter des Bankhauses Warburg, erinnert.
Als er 13 Jahr alt war, offerierte er mir sein Erstgeborenenrecht. Er als Ältester war bestimmt, in die Firma einzutreten. Ich war damals zwölf Jahre alt, noch nicht sehr überlegungsreif, und erklärte mich einverstanden, ihm das Erstgeborenenrecht abzukaufen. Er offerierte es mir aber nicht für ein Linsengericht, sondern verlangte von mir die Zusage, dass ich ihm immer alle Bücher kaufen würde, die er brauchte. Hiermit erklärte ich mich nach sehr kurzer Überlegung einverstanden. Ich sagte mir, dass schließlich Schiller, Goethe, Lessing, vielleicht auch noch Klopstock von mir, wenn ich im Geschäft wäre, doch immer bezahlt werden könnten und gab ihm ahnungslos diesen, wie ich heute zugeben muss, sehr großen Blankokredit. Die Liebe zum Lesen, zum Buch...war seine frühe große Leidenschaft. (Ernst Gombrich: "Aby Warburg - eine intellektuelle Biografie")
Die Biografie von Ernst Gombrich
Der Kunsthistoriker Ernst Gombrich war ein Schüler Warburgs. Er hat das Werk Warburgs überhaupt erst zugänglich gemacht und seinem Denken - diesem Denken, das ständig in Bewegung ist, ein beständiges Monument gesetzt.
Es war für Warburgs Denken und für seine Methode charakteristisch, dass er mit einer begrenzten Anzahl von Motiven und Elementen operierte, diese aber in immer neuen Permutationen und Kombinationen prüfte. Eine winzige Drehung des Kaleidoskops führt zu einem neuen Muster. (Ernst Gombrich, "Aby Warburg- eine intellektuelle Biografie")
Aby Warburg starb im Oktober 1929 im Alter von 63 Jahren in Hamburg. Der Wiener Fritz Saxl wurde sein Nachfolger. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg musste nach London gebracht werden, um sie vor den Nationalsozialisten zu retten.
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 22. Oktober 2009, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Karen Michels, "Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen", C.H. Beck Verlag 2007
Ernst Gombrich, "Aby Warburg. Eine intellektuelle Biografie", Verlag Philo & PhiloFineArts 2006
Karl Sierek, "Foto, Kino Und Computer. Aby Warburg als Medientheoretiker", Verlag Philo & PhiloFineArts 2007