Sozialpolitik in Schweden

Das Recht auf ein Dach über dem Kopf

In Stockholm haben Obdachlose ein Anrecht auf ein Dach über dem Kopf. Entsprechende Heime gibt es auch in guten Wohngegenden. Mit 22,7 Prozent des BIP gibt Schweden mehr für Soziales aus als jedes andere EU-Land. Doch auch Schweden spürt die Krise.

Die aktuelle Wirtschaftskrise wird wohl dazu führen, dass die Armut in Europa weiter ansteigt. Konzepte gegen diese Entwicklung wurden unlängst bei der 8. EU-Konferenz zum Thema Armut und soziale Ausgrenzung, die heuer aus Anlass der schwedischen Präsidentschaft in Stockholm stattgefunden hat, diskutiert. Im Rahmen dieser Konferenz bestand für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit, die praktische Arbeit der Schweden in Sachen Obdachlosigkeit kennenzulernen.

Obdachlosenheim in nobler Wohngegend

Gut eine Million Einwohner und Einwohnerinnen hat die schwedische Hauptstadt. 3.500 davon sind obdachlos. Was nicht bedeutet, dass diese Menschen - zumindest bei Nacht - kein Dach über dem Kopf haben. Zahlreiche Einrichtungen stellen den wohnungslosen Stockholmern und Stockholmerinnen ein Bett und Nahrung zur Verfügung. Niemand muss auf der Straße schlafen.

Um interessierten Konferenzteilnehmern die schwedischen Methoden auch in der Praxis vorzustellen, stand ein Besuch der Obdachloseneinrichtung Bostället auf dem Programm. Bostället ist ein schönes, altes, sechsgeschoßiges Haus mitten im Stadtteil Södermalm.

Der Stolz der Nachbarschaft

Die Fassade ist leuchtend rot bemalt, schon von Weitem ist der schmucke Bau zu sehen. Mija Bergmann, Chefin des Hauses, hatte am Beginn große Befürchtungen, sie könnten es mit bösen Nachbarn zu tun bekommen. Doch das ist nie passiert. Im Gegenteil - die Menschen, die hier im Stadtteil wohnen, scheinen stolz zu sein auf die Einrichtung. Immer wieder, so erzählt Mija Bergmann, würden die Leute regelrecht von dem Haus schwärmen und die Wichtigkeit der Arbeit, die hier geleistet wird, betonen. Und sie bekämen auch Spenden, etwa in Form von Kleidern und Bettwäsche.

Extravaganz aus zweiter Hand

Im Untergeschoß des Hauses können sich die Klienten und Klientinnen auch tagsüber aufhalten. In der Küche wird für alle gekocht. Die Aufenthaltsräume sind liebevoll gestaltet, bunte Teppiche liegen auf den Böden, Bilder zieren die Wände. Auffallend sind auch die vielen Blumen und brennenden Kerzen.

Es ist zweifellos behaglich hier - kein Zufall, wie Mija Bergmann betont. Das Umfeld sei sehr wichtig. Das Haus mag extravagant wirken, und es ist in der Tat ein teures Haus, und das mitten in Stockholm. Doch es gehört der Stadtmission, und alles im Inneren des Baus ist second-hand, die Möbel, die ganze Ausstattung. Die Bilder an den Wänden haben die Bewohner und Bewohnerinnen gemalt.

In den Stockwerken darüber gibt es sogenannte Trainingswohnungen, in denen die Klienten und Klientinnen ausprobieren können, ihren Alltag in eigenen vier Wänden selbst zu gestalten. Es geht um Anreize und Motivation.

Sozialarbeit in Zeiten der Krise

Um ihnen ein besseres Leben und vielleicht sogar den Ausstieg aus der Drogensucht zu ermöglichen, gibt es in Bostället einige Ansätze, erklärt Mija Bergmann: "Wir betreiben etwa Second-Hand-Shops, kleine Restaurants und ähnliches. Damit bieten wir unseren Klienten die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln. Es ist für die Menschen wichtig, ein fixes Quartier zu haben und die nötigen Therapien zu bekommen. Was aber auch wichtig ist, ist ein Job, ein geregelter Arbeitsablauf - eine Art sinnvolles Lebensumfeld."

Doch die Wirtschaftskrise ist mittlerweile auch in Schweden und auch in Bostället angekommen. Langsam und schleichend werden immer mehr Leistungen vom Staat gekürzt. Es wird immer schwieriger, etwa einen Therapieplatz zu bekommen. Selbst Schweden, ein Land, in dem wohl als letztes an Sozialleistungen gespart wird, hat also noch schwierige Zeiten vor sich.

Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 30. Oktober 2009, 18:20 Uhr