Deutschlands Hartz IV-Kinder
Als wünschen nichts geholfen hat
Ich stelle mir vor, dass Mechaniker und Zahnärzte eines Tages, wie die Banken, dem Kostendruck nachgeben und mich, bei gleicher Rechnung, die Arbeit selbst machen ließen. Dann lese ich, dass 1,7 Millionen Kinder in Deutschland von 3,11 Euro pro Tag leben.
8. April 2017, 21:58
Vor kurzem war ich in Hamburg, bei prächtigem Herbstwetter. Wenn man vier Tage Zeit hat, bleibt man im Zentrum, bewundert das viele Grün in dieser Stadt: dort wo Blätter sind, ist immer auch Geld zuhause. Elegante Villen, luxuriöse Wohnhäuser, breite Terrassen, gepflegte Gärten. Abends lassen viele Bewohner die Vorhänge offen, sie haben nichts zu verbergen und einiges zu zeigen. In den Auslagen der Immobilienhändler hängen Fotos samt Preisen von angebotenen Häusern. Hamburg ist teuer.
Eine Woche später lese ich, dass in Hamburg jedes vierte Kind von Hartz IV leben muss. Hartz IV - benannt nach dem Erfinder dieses Systems - ist die Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose und ihre Kinder. 215 Euro im Monat gibt der Staat für die kleineren, 251 für größere. Unter Leitung von Herrn Hartz wurde genau errechnet, wie viel ein Kind kosten darf: 3,11 Euro für Essen pro Tag, 25,07 pro Monat für Kleidung. 11,51 für Bus und Straßenbahn. Das sind 60 Prozent von dem, was ein Erwachsener bekommt: er erhält 359 Euro. Ein Politiker machte Schlagzeilen, als er einen Tag lang von Hartz IV-Sätzen lebte und behauptete, das ging doch gut.
"Was sind uns die Kinder wert?" steht als Titelzeile in der Wochenzeitung. Inzwischen liegt eine Beschwerde vor dem Höchstgericht in Karlsruhe, zum Jahreswechsel soll entschieden werden, ob der Staat einem Kind mit dieser Summe tatsächlich ein menschenwürdiges Dasein bietet.
Irgendwann in seinem Schulleben braucht fast jeder Schüler Nachhilfe. Die Kosten für Nachhilfe sind in Hartz IV nicht eingerechnet, Ausgaben für Bücher ebenso wenig, auch kein Kino, kein Theater, kein Sport. Wie gut schafft ein Kind die Schule ohne all das? Wenn man 20 Euro pro Kind im Monat mehr zahlt, würde der Staat - 1,7 Millionen Hartz IV Kinder gibt es - dafür eine halbe Milliarde aufwenden müssen. Eigentlich nicht viel, wenn man sich die Summen vor Augen führt, die für Bankenrettungspakete ausgegeben werden.
Ich gehe durch den Supermarkt und versuche mir vorzustellen, was ich kochen könnte, wenn ich für jedes meiner Kinder pro Tag 3,11 Euro zur Verfügung hätte: Frühstück, Jause, Mittag- und Abendessen, dazu Getränke, Obst, Knabberzeug. Ich kann es mir nicht vorstellen. Der Gedanke verdirbt mir die Freude am Einkaufen.
In Österreich gibt es Hartz IV noch nicht. Aber es gibt die Kinderarmut in vergleichbarem Ausmaß und es ist zu befürchten, dass Ideen aus Deutschland früher oder später auch bei uns übernommen werden. Die flotten Sprüche der Politiker im Nachbarland werden auch ihren österreichischen Kollegen einfallen.
Hartz IV dürfe man nicht erhöhen, sagte in Deutschland ein Politiker der Partei, die das C für Christlich im Namen trägt: Wenn die Eltern mehr Geld für ihre Kinder bekämen, dann profitierten nur die Tabakindustrie und die Schnapsbrenner.
Wollte man diesen Kindern wirklich helfen, könnte ihnen der Staat Sachleistung zukommen lassen: Bücher, Nachhilfe, Sport, Freifahrten, Ganztagsschule mit gratis Mittagessen, damit sie nicht in die Suppenküchen gehen müssen, wenn sie sich das Schulmenu nicht bezahlen können. Bildung ist die beste Investition. Kinder sind unsere Zukunft. Möchte man meinen.
Eigentlich wollte ich eine andere Kolumne schreiben, weil ich mich über den mangelnden Service der Banken geärgert habe, die bei gleichen Gebühren immer mehr die Kunden arbeiten lassen. Ich hatte mir überlegt, wie es wäre, wenn der Automechaniker oder der Zahnarzt, die ebenfalls ihre Kosten senken müssen, mir nur noch das Werkzeug in die Hand drücken und die Rechnung schreiben. Der Spaß an der Idee ist mir vergangen, als ich an das Hartz IV Kind denken musste.