Mit der Kraft der Gedanken

Android and Eve

Brain-Computer-Interfaces zeigen exemplarisch, wie Mensch und Maschine noch näher aneinander gebracht werden können, bis sie eines Tages möglicherweise verschmelzen. Einstweilen steuern nur Affen mit ihren Gedanken Joysticks und Roboter.

Ein Affe sitzt vor einem Computerbildschirm, auf dem an unterschiedlichen Stellen ständig neue Kugeln erscheinen. Der Affe bewegt einen Cursor über die Bildfläche, der die Kugeln treffen soll. Für jeden Treffer gibt es als Belohnung einen Schluck zu trinken, und so hat das Tier eine erstaunliche Geschicklichkeit und Schnelligkeit bei dem Spiel entwickelt.

An sich ist so ein trainierter Affe nichts Besonderes. Nur dass dieser spezielle Affe zwar den Cursor auf dem Bild hin und herschiebt, selbst aber völlig reglos da sitzt. Alles, was er tut, ist daran zu denken, den Cursor zu bewegen. Ein winzig kleines Implantat in seinem Gehirn übersetzt diese Gedanken für einen Computer, der dann für die entsprechenden Bewegungen sorgt.

Dieser Versuch machte unter dem Titel "Reading Monkey‘s Thought" vor wenigen Jahren Furore. Sein Urheber, der Brasilien-stämmige Neurobiologe Miguel Nicolelis von der Duke University in North Carolina, hat die Idee inzwischen deutlich weiterentwickelt.

Affe bringt Roboter zum Gehen

"Wir haben jetzt dieses Tier, das an der Ostküste der Vereinigten Staaten auf einem Fließband läuft, und wir messen die elektrische Aktivität der Nervenzellen im Gehirn dieses Tiers, die für Bewegung verantwortlich sind", sagt Nicolelis. Für die Messung ist das kleine Gehirnimplantat zuständig, das in einem Umfeld von etwa 1000 Nervenzellen ganz genau registriert, wann welches dieser Neuronen wie aktiv ist. Diese Nervensignale werden auf einen Computer übertragen.

"Und dann senden wir diese Signale nach Japan, zu einem androiden Computer, der mit diesen Signalen zum Gehen gebracht wird! Der Roboter wiederum wird beim Gehen gefilmt, und dieser Film wird zurückgesandt und dem Affen auf dem Fließband vorgespielt. So hat der Affe so etwas wie eine visuelle Kontrolle der Bewegungen, an die er denkt. Jetzt können wir das Fließband sogar abdrehen und den Affen stillstehen lassen. Wenn er weiter ans Gehen denkt, wird sich der Roboter in Kyoto weiter bewegen."

Der Affe sieht also, wie der Roboter die Bewegungen ausführt, an die er denkt. Er kann reagieren, wenn der Roboter ins Straucheln gerät. Jedes Signal in seinem Hirn, das dafür sorgt, dass der Affe in derselben Situation zurück zu einem geraden Schritt findet wird unmittelbar als Bewegungsauftrag an den strauchelnden Roboter in Japan gesandt. Affe und Roboter, stellt sich Miguel Nicolelis vor, werden damit mehr oder weniger eins.

"In unseren Gehirnen gibt es eine Repräsentation, so etwas wie eine Vorstellung von unseren Körpern, die zu unserer Selbst-Empfindung beiträgt. Unsere Theorie ist nun, dass jedes Werkzeug, das wir benutzen, unsere Autos, unsere Computermäuse, Tennisschläger, Klaviertasten egal, was wir benutzen, dass das alles vom Gehirn als erweiterter Teil des Körpers verinnerlicht wird. Und dass das der Grund ist, weshalb wir so geschickt im Umgang mit all diesen Dingen werden können. Für unseren Versuch mit dem Affen und dem Roboter in Japan würde das bedeuten, dass der Affe es empfindet, als gehörten die Beine des Roboters am anderen Ende der Welt zu seinem eigenen Körper", erklärt Nicolelis.

Über die Grenzen des Körpers hinaus

In den letzten 20 Jahren stellte sich heraus, dass das Gehirn viel dynamischer ist, als man früher dachte. Es passt sich ständig neuen Umweltbedingungen an und verarbeitet nicht einfach nur Information, die von außen kommt, sondern kreiert vielmehr ständig eine eigenes Modell der Realität, ist Miguel Nicolelis überzeugt - und das hat für ihn weitreichende Konsequenzen.

"Die, die mir besonders gefällt, ist die Vorstellung, dass meine Vorstellung von dem, was mein Körper ist, nicht mit der äußersten Schicht meiner Haut endet - sondern mit der letzten Schicht von Atomen welchen Werkzeugs auch immer, das ich benutze oder mit meinen Gedanken kontrolliere. Für mich heißt das, dass es eines Tages möglich sein wird, an einem Ort zu sein und gleichzeitig die Realität eines ganz anderen, weit entfernten Ortes zu fühlen. Ich träume immer von diesem Szenario, eines Tages am Strand von Brasilien zu sitzen, mein Gehirn kontrolliert die Bewegungen eines Roboters auf dem Mars, und ich werde tatsächlich das Gefühl haben, selbst gleichzeitig auf dem Mars und an einem brasilianischen Strand zu sein. Die zwei Realitäten werden sich zu etwas vermischen, und zu etwas ganz Neuem werden, was wir so noch nie erlebt haben."

Der neue Körper - das Exoskelett

Vorerst aber denken die Wissenschaftler aber an etwas Praxis-nähere Anwendungen ihrer Forschungen. Nämlich bei gelähmten Menschen. "Wenn also all diese Arbeit bei den Affen zeigt, dass die Geräte, die sie mit den Gedanken bewegen, inkorporiert werden - was ist dann das ultimative Gerät für jemanden, der sich nicht mehr bewegen kann: ein neuer Körper! Was wir also versuchen wollen, ist so etwas wie einen Roboteranzug zu bauen. Wir nennen das ein "Exoskelett", etwas, das einer gelähmten Person angezogen werden kann und das diese Person mit ihren Gedanken bewegen kann. Mit ein bisschen Übung stellen wir uns vor, dass das Gehirn dieses Exoskelet, diesen Anzug mit der Zeit als Teil des eigenen Körpers wahrnimmt", meint Nicolelis.

Miguel Nicolelis und sein Team haben gerade ein internationales Konsortium ins Leben gerufen, das dieses Exoskelett entwickeln soll. Eine Herausforderung ist, die Anzahl der Nervenzellen, die das Gehirnimplantat abtasten kann, zu erhöhen. Derzeit schaffen sie etwa 1000 Neuronen.

"Wir werden aber ein paar tausend mehr brauchen, insgesamt so zwischen 5.000 und 10.000, um einen ganzen Körper zu bewegen, in Balance zu halten, die Hände zu bewegen und so weiter. Wenn es uns gelingt - was ich für realistisch halte - in den nächsten fünf Jahren so weit zu kommen, simultan die Aktivität 10.000 Nervenzellen zu messen - dann betreten wir absolutes Neuland!"

Während die Wissenschaftler an der Duke University versuchen, das Gedankenlesen zu verfeinern, arbeiten ihre Konsortiums-Kollegen unter anderem daran, die richtigen Materialien und Konstruktionen für das Exoskelett zu entwickeln.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 17. November 2009, 19:05 Uhr