Herr zweier Frauen
Sieben Jahre
Fast zwei Jahrzehnte lange verfolgt Peter Stamm die Geschichte von Alex, seiner wunderschönen Frau Sonja und seiner unansehnlichen Geliebten Iwona. Der Titel spiegelt die biblische Geschichte von Jakob, allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen.
8. April 2017, 21:58
Ein Mann zwischen zwei Frauen: Das ist die Grundsituation im neuen Roman des Schweizer Autors Peter Stamm. "Sieben Jahre" nennt sich das Buch und Ort der Handlung ist München: Dort lebt in den 1980er Jahren der Architekturstudent Alex gemeinsam mit seinen Kollegen Rüdiger und Ferdi in einem Studentenheim im ehemaligen Olympischen Dorf. Obwohl Alex nicht der Begabteste der Gruppe ist und seine Familie im Gegensatz zu den anderen nicht reich, bekommt ausgerechnet er die hübscheste und intelligenteste Frau, die der Campus zu bieten hat: Sonja - ein Männertraum, wie er in Peter Stamms Buche steht.
Gegensätze
Nicht allein mit ihren Modellmaßen und ihrem Aussehen bezirzt die junge Frau die Umgebung. Auch fachlich hat sie es drauf: Le Corbusier gilt ihr als das Maß aller architektonischen Dinge, mit sicherem Strich arbeitet sie an ihren Entwürfen, und auch die Familienverhältnisse stimmen: Der Vater hat ein Haus am Starnberger See, so etwas gehört in München zum guten Ton der besseren Gesellschaft.
Auch Alex ist hübsch, ansonsten aber hinkt er seiner Sonja in allem hinterher: Seine Schwärmereien für die architektonischen Romantizismen von Aldo Rossi wirken hoffnungslos veraltet, und die eigenen Entwürfe findet er nicht einmal selbst richtig gut. Sie sind wie sein Leben: Wenig dezidiert neigen sie sich in diese und jene Richtung, ohne einen eigenständigen Weg zu finden.
Männerroman vor biblischem Hintergrund
Fast zwei Jahrzehnte lange verfolgt Peter Stamm die Geschichte: Alex und Sonja finden zusammen, schließen ihr Studium ab, gründen in München ein gemeinsames Büro, mit dem sie in Allerwelts-Wohnbau-Projekten viel Geld verdienen. Warum Sonja, die Hochbegabte, dies alles mitmacht, bleibt unklar. Ab und an widmete sie sich auch später noch dem ein oder anderen hochfliegenden Projekt im Büro einer Freundin in Marseille, ansonsten aber säumen Alltäglichkeiten den gemeinsamen Weg mit Alex: Der Traum von einem Haus, das man sich gemeinsam erarbeitet. Die Feiertage bei den Eltern oder Schwiegereltern, ein Termin im Massagestudio oder ein Kinobesuch, bei dem sie wie zum Beispiel beim Film "Das Leben der anderen" Tränen der Rührung vergießt.
Von Sonjas eigenem Leben indes gibt es bei Peter Stamm nicht viel zu berichten. Was wunder auch, mit seinem Buch hat er etwas anderes im Sinn, denn ein Männerroman vor biblischen Hintergrund sind seine "Sieben Jahre".
Unterwürfige Geliebte
Aus dem Alten Testament erklärt sich der Titel des Buches: Ganze "sieben Jahre" lang musste Jakob warten, bis er nach der Ehe mit der unattraktiven Lea zu seiner zweiten Frau, der wunderschönen Rahel, kam. Ähnliches spielt sich - nun aber unter umgekehrten Vorzeichen und ohne Gottes Hilfe - bei Alex ab, denn auch in seinem Leben gibt es eine unattraktive Zweitfrau.
Wie es sich für das Ende des 20. Jahrhunderts geziemt, kommt sie aus Polen, arbeitet ohne Aufenthaltsbewilligung als Putzfrau in München, schickt das spärliche Geld, das sie verdient, nach Hause zur Verwandtschaft, ist hässlich und schüchtern - kurzum: eine arme, graue, katholische Maus, die niemand beachtet.
Alex indes wird die Frau, die ihm seine Studentenkollegen einmal im Spaß zugespielt hatten, sein Lebtag nicht mehr los. Immer wieder kehrt er neben Sonja zu Iwona zurück, genießt ihre Unterwürfigkeit und Anhänglichkeit und bezahlt sie für die Liebe, die sie ihm gleich zu Beginn als eine lebenslange geschworen hat, portionsweise wie eine Prostituierte. Ihr zu sagen, wie sie sich drehen und wenden, hinlegen und zeigen soll, macht den jungen ebenso wie den dann etwas älter gewordenen Mann vor Lust schier verrückt, und es bleiben diese Bemühungen, wenngleich ungewollt, auch nicht fruchtlos.
Nach sieben Jahren bekommt Iwona von Alex ein Kind. Und wie es sich für eine rechte Schattenfrau gehört, gibt sie das kleine Mädchen auch sofort und anstandslos zur Adaption frei: So lebt die kleine Sophie fortan bei ihrem Vater und dessen schöner Frau. Sonja scheint von Beginn an die ideale Mutter zu sein, die Polin meldet sich nicht mehr.
Unheilvolle Macho-Welt
Weitere sieben Jahre später kollabiert die trügerische Idylle: Das Architekturbüro hat Konkurs gemacht; im Zuge dessen ging auch das gemeinsame Privathaus flöten. Alex fängt zu trinken an, Sonja verlässt ihn und geht nach Marseille. In der chronologisch letzten Szene des Buches, die Peter Stamm an den Beginn seines Romans stellt, wird die zehnjährige Sophie bei einer Vernissage an der Seite ihrer vermeintlichen Mutter gezeigt. Das Kind läuft zurück zum abseits stehenden Vater und berichtet ihm freudig, was der schon lange weiß: "Mama ist die schönste Frau der Welt."
Bei Peter Stamm scheinen in diesem Satz, der aus dem Mund von Sophie, der Tochter der hässlichen Polin, nun gerade nicht stimmt, nicht nur Anfang und Ende des Buches zu liegen, sondern auch der Anfang und das Ende einer wunderschön unheilvollen Macho-Welt. Am Ende bleibt dem Leser und/oder der Leserin, die so etwas vielleicht nicht so sehr mag, zumindest die Schadenfreude: Denn Alex, der mittelmäßige Herr zweier Frauen, steht dann (verlassen von beiden) ganz allein da.
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 22. November 2009, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Peter Stamm, "Sieben Jahre", S. Fischer
Link
S. Fischer - Peter Stamm