Wohngemeinschaften statt Altersheim
Alternativ wohnen im Alter
Viele ältere Menschen leben einsam, oft allein in viel zu großen Wohnungen und Häusern. Aber wohin sollen sie ziehen, solange sie sich für das Altersheim noch zu jung fühlen und ein selbstbestimmtes Leben nicht aufgeben wollen?
8. April 2017, 21:58
Hana Walter über das Jungbleiben
Viele ältere Menschen leben einsam - aus unterschiedlichen Gründen. Die Kinder sind längst aus dem Haus, der Partner vielleicht verstorben, oder man hat sich getrennt, Freunde und Bekannte leben weit verstreut. Oft bleiben Menschen im letzten Lebensdrittel allein übrig in viel zu großen Wohnungen und Häusern. Aber wohin sollen sie ziehen?
Wohngruppen für Fortgeschrittene
Die 65-jährige Wienerin Hana Walter arbeitete als Sekretärin und ist heute in Pension. 19 Jahre lang hatte sie ihren Mann betreut, der Opfer eines Verbrechens und in der Folge zum Pflegefall wurde. Nach dessen Tod blieb sie alleine in der gemeinsamen Wohnung zurück. Auch der Sohn war schon ausgezogen und lebte sein eigenes Leben.
2008 las sie in der Zeitung von den "Wohngruppen für Fortgeschrittene" und meldete sich an. Initiator des Pilotprojekts ist die gemeinnützige Bauträgergruppe GEWOG Neue Heimat. Die 80 Mietwohnungen des neu errichteten Hauses sind von der Stadt Wien gefördert. 20 davon stehen für zwei selbstorganisierte Wohngruppen zur Verfügung, für die Menschen ab 55 angesprochen wurden.
Die Wohngruppen haben Mitspracherecht bei kleineren baulichen Adaptionen. So werden die Wohnungen auf Wunsch barrierefrei gebaut, auch im Badezimmer können noch Änderungen vorgeschlagen werden. Gemeinsam mit der ganzen Gruppe geplant wurden Gemeinschaftsräume und der Garten. Das Haus steht im 16. Bezirk in Wien. Zwei "Wohngruppen für Fortgeschrittene" sollen in dem Haus künftig leben.
Zusammenleben von Alt und Jung
Hana Walter findet, das sei die ideale Lösung für sie. Als ihr Mann noch lebte, hatten sie noch gemeinsam überlegt, wie sie im Alter leben wollten. Sie machten sogar Urlaub in einem Pensionistenheim. Da merkte Hana Walter allerdings sofort: das ist etwas für später und fügt hinzu: "Das Altersheim ist ein großer Schritt ins Alter hinein. Ich möchte lieber mit jüngeren Menschen zusammenleben und so lange wie möglich selbstständig sein."
Nicht nur ältere Menschen werden in dem neu errichteten Haus zusammen leben. Die altersmäßige Durchmischung ist Teil des Konzepts, so dass Wohnungen auch an "normale" Mieter oder Familien vergeben werden. Wenn es passt, könnten so die Älteren auch einmal auf die Kinder der Nachbarn aufpassen, wenn keine Oma in der Nähe ist. Umgekehrt helfen die Jüngeren vielleicht den Älteren im Alltag. "Wenn man gegenseitig auf einander schaut, ist das für alle von Vorteil", findet Hana Walter.
Sie sei froh gewesen, über diese Möglichkeit neue Kontakte zu knüpfen. "Als alleinstehende, nicht berufstätige Frau ist es schwer, neue Leute kennenzulernen." sagt sie.
Eine Alternative zum Altersheim
In der Wohngruppe finden sich Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen. Sie kannten sich vorher nicht. Die Auswahl der Bewohner und Bewohnerinnen traf der Bauträger. Manche sind schon in Pension, andere stehen noch voll im Arbeitsleben. Bereits drei Jahre vor dem Bezugstermin 2011 treffen die Interessenten regelmäßig zusammen. Von Anfang an mit dabei war Ralf Ullsperger. Der 63-jährige Seniorentrainer steht noch voll im Berufsleben, denkt aber schon an die baldige Pension.
In Graz geboren, ist er mittlerweile zum echten Ottakringer geworden. Dass das Wohnprojekt im 16. Bezirk gebaut wird, war ihm wichtig. Er wollte in der gewohnten Umgebung bleiben. Ralf Ullsperger und seine Lebensgefährtin werden ihre derzeit getrennten Wohnsitze zusammenlegen und gemeinsam eine Wohnung beziehen.
Beide haben schon in jungen Jahren in Wohngemeinschaften gewohnt. Das Zusammenleben mit anderen ist ihm vertraut, sagt Ralf Ullsperger. "Da ich selbst kaum Familie gehabt habe, ist es mir besonders wichtig, in Gemeinschaft mit anderen zu leben", sagt er.
Keine Förderprogramme für Baugemeinschaften
Wenn mehrere Menschen gemeinsam ein Wohnhaus bauen, spricht man von einer Baugemeinschaft. Diese eigen-initiative Wohnform ist in Wien noch nicht weit verbreitet.
Es gibt bislang wenige Bauprojekte, bei denen die Bewohner und Bewohnerinnen mitbestimmen können. Alternative Wohnprojekte wie die Sargfabrik im 14. Bezirk oder der Wohnhof Ottakring entstanden aus privater Initiative. "Alle Projekte, die es hier gibt, sind einzeln ausverhandelt. Es gibt keine Förderstrukturen, an die sich Baugemeinschaften wenden können", sagt Annika Schönfeld. Die Raumplanerin arbeitet in Wien für das Architekturbüro "Raum und Kommunikation".
Im Oktober 2009 kam es in Wien bei einer Tagung zum Thema "Umsetzung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten" zu einem Erfahrungsaustausch mit anderen Städten. Hamburg und Berlin setzen verstärkt auf partizipative Wohnprojekte und Baugemeinschaften.
Finanzielle und bürokratische Hürden
Da die Gruppen im Wettbewerb mit herkömmlichen Bauträgern nicht bestehen können, vergeben die Städte Hamburg und Berlin gezielt Grundstücke nur an Baugemeinschaften und unterstützen sie bei der Durchführung der Projekte mit Förderungen und Beratung. Hamburg und Berlin haben für diesen Service eigene Stellen eingerichtet, um die bürokratischen Hürden niedrig zu halten.
Vor allem junge Familien und ältere Menschen würden sich für Baugemeinschaften interessieren, sagt Annika Schönfeld. Doch ohne Unterstützung von Seiten der Stadtverwaltung sei es schwer, ein Projekt zu realisieren. Es braucht viel Wissen und Engagement, um ein Hausprojekt umzusetzen, so Annika Schönfeld.
Die finanziellen und bürokratischen Hürden eines gemeinsamen Bauvorhabens sind den meisten zu hoch. Die Suche nach geeigneten Grundstücken dauert oft jahrelang. Die zukünftige "Wohngruppe für Fortgeschrittene" habe genug damit zu tun, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen unter einen Hut zu bringen, sagt Ralf Ullsperger.
Bei der Vergabe der Wohnungen musste sogar gewürfelt werden, weil man sich nicht einigen konnte. Die Suche nach Grundstücken und die Verantwortung beim Bau des Hauses blieb der künftigen "Wohngruppe" erspart.
Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 1. Dezember 2009, 17:09 Uhr