Von Paris nach Wien

So denkt Dominique Meyer

Ein Staatsoperndirektor, der sein Ego nicht vor sich herträgt. Gibt's nicht? Doch! Bereiten Sie sich vor auf Dominique Meyer, Chef der Wiener Staatsoper ab Herbst 2010. Meyer im Gespräch über seine Initationserlebnisse und sein Autoritätsverständnis.

Dominique Meyer spricht leise, bedächtig, aber entschlossen. Er nimmt sich Zeit, Für und Wider abzuwägen. Ob er auch poltern kann, auf den Tisch hauen? Nur seine engsten Mitarbeiter wissen es. Dominique Meyer geht durch eine aufreibende Phase: Noch leitet er in Paris das Théatre des Champs-Elysées, aber jede Woche geht für ihn das Flugzeug nach Wien, für zwei Tage, die er in der Wiener Staatsoper verbringt: Eintauchen in den Betrieb, Aufführungen sehen, mit Dirigenten und Regisseuren sprechen, entscheiden, was von der Ära Ioan Holender in seine Zeit hinübergenommen werden soll.

Sprungbrett Théatre des Champs-Elysees

Dominique Meyer, Jahrgang 1955, ist gebürtiger Elsässer und stieß jung schon zum Team des legendären französischen Kulturministers Jack Lang, der ihn als Generaldirektor der Pariser Opéra installierte, als dort rund um die Eröffnung der Opéra-Bastille das Chaos regierte. Aus der Metropole zog sich Dominique Meyer dann nach Lausanne zurück, um das dortige Opernhaus zu leiten: ein ausgeprägtes Stagione-Haus ohne durchgehenden Spielbetrieb, das unter seiner Ägide zur Brutstätte für Sängernachwuchs wurde.

Seit 1999 ist Meyer künstlerischer Leiter des privat geführten Théatre des Champs-Elysées, dessen rund 230 Spieltage pro Saison sich auf vier bis fünf szenische Opernproduktionen, jede Menge konzertanter Opernaufführungen, Ballettabende, Orchesterkonzerte sowie Lied- und Klavierzyklen aufteilen. Alte Musik spielt eine beträchtliche Rolle, Originalklang-Ensembles geben einander die Klinke in die Hand, die Dirigentenstars sind alle da.

Beispiel: Noch ehe Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker ihr jüngstes Beethoven-Programm in Wien spielten, waren sie damit schon im Théatre des Champs-Elysées. Thielemann für den Herbst 2010 zu einem kompletten Beethoven-Symphonien-Zyklus an nur vier Abenden überredet zu haben, nennt Meyer ein "Geschenk an meinen Nachfolger". Wird ihm, der auch zum eigenen Vergnügen Konzerte besucht, der eher CDs von symphonischer und von Kammermusik kauft als Opern-CDs ("weil ich schon alle Opern daheim habe!"), diese Arbeit in Wien nicht abgehen? "Nein, Oper ist spannender. Ein paar Jahre noch Oper!"

Opernerlebnisse zwischen Wagner und Lully

Gefragt nach seinen Opern-"Initiationserlebnissen" nennt Dominique Meyer Wagners "Parsifal", den Bayreuther Chéreau-/Boulez-"Ring", aber auch Lullys "Atys" in der Interpretation durch Les Arts Florissants unter William Christie. Davor als steif und repräsentativ verschrien, tat sich mit Lullys Musik mit einem Schlag ein neuer Kosmos auf.

Im Orchester damals übrigens Christophe Rousset am Cembalo, Marc Minkowski bei den Fagottisten, im Chor die heutige Star-Sopranistin Veronique Gens und der mittlerweile auch dirigierende Hervé Niquet - alle Stammgäste in Dominique Meyers Théatre des Champs-Elysees. Ob er solche Werke auch einem Universalisten-Opernorchester anvertrauen würde? Nein, erst für Musik ab etwa 1750 hält er moderne Orchester für einsetzbar; für alles Frühere, speziell Monteverdi, Cesti, Cavalli, hätten die Liebhaber und Liebhaberinnen dieser Musik längst gelernt, auch den Klang der alten Instrumente zu genießen.

Nur bitte nicht den Chef hervorkehren

Wann ist für ihn ein Opernabend überhaupt gelungen? Dominique Meyer überlegt: Ein ganzer Abend "perfekt" - wann gibt es das schon? Momente, in denen mit Geschmack und Individualität gesungen und musiziert würde, könnten auch auf lange in Erinnerung bleiben; auch dafür hieße es dankbar sein. Es fällt auf: Meyer spricht vor allem über Musikalisches. Ist ihm Opernregie sekundär? Gewiss nicht, nur geht es ihm gegen den Strich, wenn sich eine Inszenierung im Ausbreiten eines "Konzepts" erschöpft. Oper soll für ihn "Gesamtkunstwerk" sein, im Sinn eines Miteinanders der Talente von Regisseur, Dirigent, dem Sängerteam - ohne dass einer den "Chef" spielt!

Überhaupt: "Ein Opernhaus ist nicht nur das Gebäude", sondern die vielen Menschen darin. "Nichts ist unwichtig. Keiner ist unwichtig." In Wien soll es mehr Premieren geben als bisher, was nach einer Reform der Probensituation verlangt. Wenn weiter an die 50 verschiedene Werke pro Saison zu sehen sein sollen, müssen die "schwierigen" Produktionen weniger werden - ein Langzeit-Projekt? Stücktitel, Sänger-, Dirigenten-, Regisseur-Namen werden einstweilen nicht verraten: Kommenden März gibt Dominique Meyer seine Antritts-Pressekonferenz für die Spielzeit 2010/11, bis dahin bleibt es spannend.

Mit Kinderoper und Internet in die Zukunft

Eine Errungenschaft der Ära Holender wird sicher, wenngleich in abgewandelter Form, auch bei Dominique Meyer weiterbestehen: die Institution der Kinderoper. 230.000 Mal Begeisterung gab es bisher bei den (in den Schulen vorbereiteten) Kinderopern-Aufführungen im Théatre des Champs-Elysees. Wenn die - vielleicht, hoffentlich! - nächste Opernfan-Generation nach dem Fallen des Vorhangs beginnt, das Stück nachzuspielen, macht das Meyer Hoffnung, dass es Oper auch in 50 Jahren noch so geben wird, wie wir sie lieben.

Ansonsten: Oper ins Internet! Die Verwertung ihrer Konzerte im World Wide Web, wie die Berliner Philharmoniker sie seit kurzem praktizieren - "das ist die Zukunft!" Die Schlüssel zur Wiener Staatsoper hat Dominique Meyer schon. Was für ein Gefühl ist es, das Haus zu betreten? "Die reine Freude. Ich brauche nicht viel im Leben: ein paar CDs, meine Familie - und die Schlüssel zu einem Opernhaus."

Hör-Tipp
Ö1 Klassik-Treffpunkt, Samstag, 2. Jänner 2010, 10:05 Uhr

Links
Théatre des Champs-Elysées
Wiener Staatsoper