Ein Glanzlicht
Die Schöpfung
Die größte Herausforderung bei der Interpretation von Haydns Oratorium "Die Schöpfung" ist es, dem Werk einen stringenten Bogen zu verleihen. Dirigent René Jacobs setzt mit seiner Interpretation der reichhaltigen Diskografie ein Glanzlicht auf.
8. April 2017, 21:58
Die vielleicht berühmteste "Licht"-Szene der Musikgeschichte
Mit der Schöpfung von Joseph Haydn verbinde ich sehr persönliche Erinnerungen: In einer Kirche in Wien spielte ich vor etwa 25 Jahren die zweite Geige, unter der Leitung eines Dirigenten, der tapfer und unerschrocken das Chaos, welches Haydn für die ersten Minuten vorsieht, bis zum Ende des Oratoriums verlängerte. Später dann sang ich als Chorbass, allein - weil ich an der Stelle "Verzweiflung Wut und Schrecken" den Einsatz etwa eine halbe Sekunde früher nahm als die andren in meiner Gruppe.
Doch auch in jenen Turbulenzen menschlicher Fehlleistungen war mir klar - hier ist Musik, die prächtiger, aufregender, und an vielen Stellen einfach schöner nicht sein kann.
Und so ist für mich klar, welches Werk beziehungsweise welche CD-Aufnahme im Haydn-Jahr 2009 für mich zu den wichtigsten gehört: Die Schöpfung mit René Jacobs.
Transparenz des Klanges
Jacobs war Chorknabe im heimatlichen Gent, Student der Altphilologie, Countertenor und Ensembleleiter und ist heute einer der erfolgreichsten und fleißigsten Dirigenten - nicht nur - der Originalklang-Szene. Von all diesen Punkten in der Laufbahn von René Jacobs lassen sich zu seinen Großproduktionen der letzten Jahre Verbindungslinien ziehen: Die Liebe zum Chorgesang, die Bedeutung des Chores vielleicht noch vor jener der Solisten, die Transparenz des Klanges auch in großen Besetzungen, und schließlich die Kenntnis alter Texte sowie die wechselvolle Geschichte von Sujets, Vorlagen und Libretti - ganz gleich ob es um "Don Giovanni" oder die "Schöpfung" geht.
Die größte Herausforderung scheint mir darin zu liegen, dem Werk in all seinen Schattierungen und denkbar größten Gegensätzen auch einen Bogen, gewissermaßen ein beständiges "Flussbett" zu ermöglichen. Jacobs löst die Aufgabe in zwei Schritten: Zum einen hängen die Tempi - von der längsten Arie bis zum kürzesten Rezitativ - hörbar eng miteinander zusammen. Zum andren gibt es in den 101 Minuten, die Jacobs für das Oratorium braucht, kaum einen Moment, in dem nicht gespielt wird; so nahtlos gehen die Abschnitte ineinander über; so emsig greift der Continuo-Pianist die eben noch verklungene Passage auf und leitet über zur nächsten.
Gelassener Atem
Die Musik klingt dabei nie atemlos. Im Gegenteil: Über all den vielen unterschiedlichen Takten und Rhythmen, Bildern und Szenen, vermittelt die Aufnahme einen ruhigen, ja gelassenen Atem.
Mit dieser unlängst erschienener Aufnahme von Haydns visionärem Oratorium ist dessen reichhaltiger Diskografie wahrlich ein Glanzlicht aufgesetzt worden.
Mehr zu Joseph Haydn in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Ö1 bis zwei, Montag, 14. Dezember 2009, 13:00 Uhr
CD-Tipp
Joseph Haydn, "Die Schöpfung", René Jacobs, Harmonia Mundi
Übersicht
- CD
- Haydn 2009