Interview mit Stephen Frears

Die Faszination der Kurtisanen

Mit "Cheri" verfilmte Stephen Frears einen Roman von Colette aus dem Jahr 1920. In diesem geht es um das Leben von Kurtisanen im Paris der Belle Epoque - und um eine große Liebe. Im Interview verrät Stephen Frears seinen Zugang zu dem Plot.

Ö1: In "Cheri" spielt die Belle Epoque eine bedeutende Rolle, diese Ära wird fast wie eine dritte Hauptdarstellerin in Szene gesetzt.
Stephen Frears: Es geht einfach um diese sehr reichen Frauen, die diese außergewöhnlichen Kleider trugen und in außergewöhnlichen Häusern wohnten. Wenn ich sie nicht gezeigt hätte, hätte ich den Film nicht machen können.

Aber Sie schwelgen ja richtiggehend in dieser Zeit, in ihrer Atmosphäre und ihren Möglichkeiten.
Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es war genau so viel, wie der Film gebraucht hat. Um einen Colette-Roman zu verfilmen, muss man in diese Verhältnisse eintauchen.

Was ich interessant fand, ist die Rolle, die die Kurtisanen damals spielten. Man könnte sie fast als die ersten Feministinnen bezeichnen.
Das ist das große Thema Colettes. Dass da plötzlich diese unabhängigen, reichen und mächtigen Frauen auftauchten, die aber Prostituierte waren. Und dieser Gegensatz steckt voller Ironie und das ist an diesem Stoff so befriedigend.

Wie sind sie auf die Colette-Romane gestoßen?
Ich habe das Drehbuch von Christopher Hampton gelesen. Wer einen Autor wie ihn haben kann, denkt gar nicht daran, sich selbst an den Schreibtisch zu setzen. Es interessiert mich auch gar nicht. Das Schreiben ist nicht mein Job. Ich habe es nie versucht und werde es auch nie versuchen. Mir fehlt einfach der Mut dazu.

Haben Sie an Originalschauplätzen gedreht oder hauptsächlich im Studio?
Das Innere von Leas Haus haben wir gebaut. Alles andere haben wir an Originalschauplätzen gefilmt. Wir haben dieses unglaubliche Haus in Paris gefunden, das der Mann gebaut hat, der auch die Pariser Metro entworfen hat. Ein Art Nouveau-Haus und dann fanden wir das Haus, in dem Kathy Bates wohnt.

Gehören Sie zu den Regisseuren, die mit sehr fixen Vorstellungen zum Dreh kommen oder improvisieren Sie gerne?
Ich komme am liebsten völlig unvorbereitet zum Dreh, aber das bedeutet natürlich, dass ich eigentlich sehr gut vorbereitet sein muss. Ohne gute Vorbereitung kann man nicht kreativ und spontan sein.

Überlegen Sie die Einstellungsgrößen und Bewegungen der Kamera im Voraus. Zeichnen Sie zur Vorbereitung Story-Boards?
Nein, das sind Entscheidungen, die ich vor Ort treffe. So etwas muss organisch entstehen, ich möchte mich hier selber überraschen. Ich habe auch im Voraus keine genaue Vorstellung von der Szene, aber ich höre sofort, wenn sie stimmt. Das erkennt man am Klang und Rhythmus der Stimmen, ob eine Szene überzeugend ist. Die Körperbewegungen folgen ja dem Sprachrhythmus. John Houston hat seinen Schauspielern immer den Rücken zugekehrt. Überzeugungskraft hört man wesentlich besser, als dass man sie sieht. Das Ohr ist es, das dir sagt, ob eine Szene überzeugend ist oder nicht. Wenn du als Regisseur Glück hast, sind deine Schauspieler gut, wenn du großes Glück hast, läuft die Kamera gerade, wenn sie gut sind. Am Ende von "Gefährliche Liebschaften" gibt es die Sterbeszene von John Malkovich. Als er seine letzten Worte spricht, war er nicht schlecht. Ich wandte mich also für den Gegenschuss Keanu Reeves zu und plötzlich spielte John fantastisch. Ich hatte die Geistesgegenwart die Kamera noch einmal auf ihn zu richten, weil er in dem Moment ganz wunderbar war.

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