Von Datteln und Verschwendung
Mein Beduine
Ein Beduine taucht von Zeit zu Zeit bei mir auf. Warum Datteln den Appetit verderben können und Geld zum Fenster hinausgeworfen wird, fragt er sich. Trotzdem kommt Weihnachten alle Jahre wieder überraschend schnell daher.
8. April 2017, 21:58
Ich mag Datteln sehr, besonders von den frischen, großen kann ich gar nicht genug bekommen. Auf einer Tunesienreise mit einer Gruppe Biologiestudenten gab es überall am Straßenrand Datteln zu kaufen, kiloweise. Während der Fahrt im Autobus stand ein Sack neben mir und ich futterte. Der Reiseführer lobte die Datteln, sie wären das Brot der Beduinen, enthielten alles, was der Körper so braucht. Wenn Beduinen mit ihren Herden unterwegs sind, finden sie mit einer Handvoll Datteln pro Tag ihr Auslangen. Sie behalten die Kerne lange im Mund, der Geschmack hilft, den Hunger zu dämpfen. Ich hatte seit der Abfahrt am Morgen ungefähr die Wochenration eines Beduinen vernichtet, ich sah ihn am Straßenrand stehen und schämte mich.
Seither taucht der Beduine von Zeit zu Zeit bei mir auf und kommentiert meine Welt, über die er sich gar nicht genug wundern kann. Wieso muss es in euren Räumen so heiß sein wie vor unserem Zelt in der Wüste, fragte er neulich, ihr vergeudet Energie. Mir wäre es auch lieber, wenn Ämter, Theater, Konzertsäle, Kinos und Museen nicht überheizt wären. Budgets könnte man sanieren, wenn man nicht Menschen, die aus der Winterkälte entsprechend warm gekleidet in öffentliche Räume kommen, in einer Art Sauna ohne Aufguss schwitzen ließe. Nebenbei würde die Einschlafquote bei Veranstaltungen in abgedunkelten Sälen sofort gesenkt, wenn die Luft frischer wäre.
Der Beduine hat, über meine Schulter hinweg, eine Studie über Lebensmittel im Abfall gelesen. In Wien werden jährlich pro Person ungefähr 40 Kilogramm Genießbares, oft noch in Originalverpackung, weggeworfen. Allein für das vernichtete Brot mussten 20.000 Hektar Feld mit Getreide bebaut werden. Dass uns die Engländer mit 70 Kilogramm weit übertreffen, hilft ebenso wenig wie der Negativrekord der USA, wo ein Drittel der Lebensmittelproduktion in noch unverdorbenem Zustand im Müll endet.
Wenn ich Geld gespart habe, schicke ich meinen Sohn in die Stadt, sagt der Beduine während der Lektüre meiner Zeitung. Der Sohn soll studieren, damit er später nicht mit einer Handvoll Datteln am Tag auskommen muss. Warum aber gebt ihr für eure Studenten so wenig Geld aus und so viel mehr Geld für die Banken, die Unsummen vergeudet haben? Warum straft ihr die Schuldigen nicht, sondern lasst euch von ihnen auch noch verhöhnen? Nicht wir tun das, antworte ich, sondern Politiker, die nicht ich, sondern eine Mehrheit der anderen Österreicher gewählt hat. Sagt er jetzt: Ihr habt doch auch einen prächtigen Dom, von dem es Modelle in Kleinformat an den Souvenirständen gibt. Nein, sagt er nicht, er schüttelt ernst den Kopf: Ihr braucht bessere Scheichs, die mit Weisheit ausgestattet sind und mit Tatkraft. Mein Versuch, ihm etwas Positives aus meiner Welt mitzugeben, fällt kläglich aus: Möglichweise fährt niemand mehr nach Kärnten auf Urlaub, sobald sie in Bayern den Ausdruck "Dogger" ins Deutsche übersetzt haben... Und von den Datteln esse ich auch nur mehr höchstens drei Stück pro Tag, füge ich hinzu, aber da ist er schon verschwunden.