Istanbul, Essen und Pecs

Europas Kulturhauptstädte 2010

Nach Linz und Vilnius 2009 gibt es 2010 gleich drei Kulturhauptstädte Europas, da zusätzlich zu dem regelmäßigen Doppel einer Stadt aus einem "alten" und einem "neuen" Mitgliedsland erstmals auch ein Bewerber aus einem Nicht-EU-Mitglied ausgewählt wurde.

Seit 1985 erhält jährlich mindestens eine europäische Stadt den Titel "Kulturhauptstadt Europas". Die Anregung zu dieser Initiative gab die griechische Kulturministerin Melina Mercouri. Der Europäische Rat verleiht den Titel auf Empfehlung der Europäischen Kommission. Ziel ist es, den "Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger Europas füreinander zu leisten".

2010 spannt sich also der Bogen der Kulturhauptstädte Europas von der 13-Millionen-Einwohner Metropole Istanbul über die Industriestadt Essen, die ihre Aktivitäten in der ganzen Ruhr-Region mit rund 5,3 Millionen Einwohnern entfaltet, bis zu Pecs, der an kulturellem Erbe reichen fünftgrößten Stadt Ungarns mit rund 170.000 Einwohnern.

Die Bewerberstädte müssen ein Kulturprogramm erstellen, in dem etwa die europäische Dimension ersichtlich sein und die Bürger in die Veranstaltung einbezogen werden müssen. "Außerdem müssen Künstler und Kulturakteure aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten. Das Programm muss nachhaltig Wirkung zeigen und zur langfristigen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Stadt beitragen", heißt es auf der Website der Europäischen Kommission.

Inspiring Istanbul

"The most inspiring city in the world" lautet der Slogan, mit dem die über 2000 Jahre alte Metropole am Bosporus für sich als Kulturhauptstadt wirbt. Die Bewerbung entstand aus einer zivilgesellschaftlichen Initiative von Privatleuten und NGOs, das 270 Mio. Euro umfassende Budget ist jedoch fast ausschließlich staatlich finanziert. Der Intendant wurde erst im März ausgewechselt.

65 Prozent der Gelder werden für Renovierungs- und Bauprojekte ausgegeben, die das reiche kulturgeschichtliche Erbe von byzantinischen Kaisern und osmanischen Sultanen sichern sollen. Gleich mehrere neue Museen sollen 2010 eröffnet werden. Eines gilt dem berühmten Moscheen-Architekten Sinan, ein Stadtmuseum im Ausgrabungsbereich Yenikapi widmet sich den archäologischen Funden. Das von Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk geplante "Museum der Unschuld" in Cukurcuma (Eröffnung im Juli) soll anhand von in seinem gleichnamigen Roman vorkommenden Gegenständen Alltag und Lebensgefühl im Istanbul der Jahre 1950 bis 2000 vermitteln. Auch die Prinzeninseln bekommen ein eigenes Museum, das am 25. Juli eröffnet werden soll.

Mit Kulturzentren wie dem Ayazaga, dem Sütlüce im historischen Schlachthof am Goldenen Horn oder dem früheren Gaswerk Hasanpasa soll die boomende Kunst- und Kulturszene der Gegenwart neue Impulse bekommen. Schließlich genießt die Istanbul Biennale und die Galerienszene der Stadt bereits weltweite Anerkennung. Bei dem Projekt "Lives and Works in Istanbul", bei dem im Kadirga Kunstzentrum türkische auf ausgewählte internationale Künstler treffen, wird im Februar auch der Österreicher Peter Kogler einen Workshop leiten.

Die Stadt Istanbul erhofft sich eine nachhaltige Wirkung von der Kulturhauptstadt und in der Folge eine Intensivierung des Kulturtourismus. Mit "Mobiler Kunst", "Bijoux Art" und "Visueller Kunst" sowie einem reichhaltigen Konzertprogramm will man an die Touristen herankommen. Schließlich lautet eines der erklärten Ziele, die jährlichen sieben Mio. Touristenankünfte auf zehn Millionen zu steigern.

Die boomende Kunst-und Kulturszene der Gegenwart fühlt sich zu wenig einbezogen. Von 2.250 eingereichten Projekten werden knapp unter 500 realisiert. Die Projekt-Liste liest sich dennoch eindrucksvoll. Offizieller Start ist am 16. Jänner.

Kultur für alle an der Ruhr

In der zum Weltkulturerbe gehörenden Essener Zeche Zollverein startet das Kulturhauptstadtjahr 2010 am 9. Jänner mit einem Open-Air-Fest und Herbert Grönemeyers Kulturhauptstadt-Lied "Komm zur Ruhr". "Wir machen Kulturhauptstadt für alle", heißt es, daher sind in dem 62 Mio. Euro teuren Programm neben den üblichen Ausstellungen oder Konzerten auch zahlreiche breitenwirksame Veranstaltungen wie ein gemeinsamer Gesangstag mit einem 65.000-Stimmen-Konzert im Stadion auf Schalke geplant.

Das Kulturhauptstadtjahr "Ruhr.2010" wird zugleich eine Hommage an den deutschen Komponisten Hans Werner Henze. Von Jänner bis Dezember 2010 werden beim "Henze-Projekt" in 20 Städten des Ruhrgebietes Opern, Ballette, Tanztheater sowie Symphonie- und Kammerkonzerte aufgeführt, die allesamt sein musikalisches Werk zeigen. Henze wurde 1926 in Gütersloh geboren und lebte lange Jahre im Ruhrgebiet, bevor er nach Italien auswanderte.

Extra für das Kulturhauptstadtjahr schreibt Henze eigens eine neue Oper mit dem Titel "Gisela oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks". "Die Oper hat etwas mit Reise, mit Verliebtheit, mit Fehlern und Problemen zu tun und - mit einer Auflösung", beschreibt Henze in eigenen Worten die Oper.

Die 580.000 Einwohner-Stadt Essen möchte sich als modernes Wirtschafts-, Kultur- und Dienstleistungszentrum präsentieren und in der ganzen Region das fortführen, woran Kulturinitiativen wie Ruhrfestspiele Recklinghausen oder die Ruhrtriennale schon seit Jahren arbeiten: dem Klischee des "grauen Kohlepotts" ein buntes, lebendiges Bild der Gegenwart gegenüberstellen. Dafür soll "Ruhr.2010" mit 300 Projekte und 2.500 Veranstaltungen das Motto "Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel" in alle 53 Ruhrgebietsstädte tragen.

Grenzenloses Pécs

Bis zu einer Million Gäste erwartet die 170.000-Einwohner-Stadt in Südungarn im Kulturhauptstadtjahr. Die erste Universitätsstadt Ungarns hatte für ihre Bewerbung das Motto "Borderless City". Auf das historische Miteinander von Christen und Muslimen sowie Minderheiten wie Deutsche, Roma, Serben und Kroaten ist man in der ältesten Universitätsstadt Ungarns, die auf Deutsch Fünfkirchen heißt, besonders stolz.

Am 10. Jänner soll das 130 Punkte umfassende Programm offiziell starten. An jenen Großprojekten, die auch einen Großteil der Gesamt-Investitionen von 180 Millionen Euro (85 Prozent davon aus EU-Mitteln) verbrauchen, dürfte jedoch bis zuletzt gebaut werden: Ein Konzert- und Konferenzzentrum gehört ebenso dazu, wie ein regionales Bibliothek- und Wissenschaftszentrum und eine Ausstellungshalle.

Rund um die ehemalige Porzellan-Manufaktur Zsolnay wird ein ganzes Viertel rundum erneuert. Das - noch - verfallene Industriedenkmal vom Ende des 19. Jahrhunderts war einst ein Prunkstück, verziert mit edlen Keramiken und umrahmt von noblen Villen, jetzt soll der alte Glanz zurückkehren. Auf 3,5 Hektar ist hier ein neues Künstler- und Studentenviertel geplant, samt Kunsthalle, Ateliers und Wohnungen für Kunststudenten. Neue Heimat wird das Viertel auch für eine der bedeutendsten Zsolnay-Privatsammlungen, die der Kulturhauptstadt von Sammler Laszlo Gyugyi überlassen wird.

Auch der Bau der Autobahn Budapest-Pecs soll im Frühjahr 2010 abgeschlossen werden. Wie fast immer lautet auch hier das Zauberwort: Nachhaltigkeit.

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