Musiker in Cowboystiefeln
Sherrill Milnes ist 75
Sherrill Milnes hatte das Image eines singenden Cowboys, eines "John Wayne der Opernbühne". Im Gegensatz zu diesem kolportierten Vorurteil zählt Sherrill Milnes jedoch zu der nicht allzu großen Spezies intellektueller Gesangskünstler.
8. April 2017, 21:58
Milnes in "Salome" und "Macbeth"
Es war zweifellos das meistgebrauchte Klischee, das - zumindest in Europa - beim Namen Sherrill Milnes stets herhalten musste, nämlich das eines singenden Cowboys, eines "John Wayne der Opernbühne". Mag sein, dass er mit diesem Image fallweise selbst kokettiert hat, schließlich galt Milnes im Laufe seiner Karriere durchaus auch als pragmatischer Marketingmanager in eigener Sache.
"Die Arbeit eines Opernsängers besteht zu einem gewissen Teil im Marketing eines Produktes", bekannte er in einem Interview für "Opera News": "Ich verkaufe in der Opernwelt ein kommerzielles Produkt, einen Sound, der im Normalfall ein angenehmer Sound ist. Ich versuche einfach, das zu tun, was Dutzende, nein Hunderte Baritone im Laufe der Jahre getan haben. Mit der Ausnahme, dass ich versuche, es besser zu machen."
Musikalisches Elternhaus
Im Gegensatz zu seinem kolportierten Image zählt Sherrill Milnes jedoch zu der nicht allzu großen Spezies intellektueller Gesangskünstler. Obwohl auf einer Milchfarm in Downers Grove, einem Vorort von Chicago, Illinois, geboren (am 10. Jänner 1935), wo er in seiner Jugend auch fleißig mitgearbeitet hat, war sein Elternhaus doch ebenso musisch geprägt.
Seine Mutter gab Klavierunterricht, leitete den örtlichen Kirchenchor und förderte nach Kräften seine musikalischen Interessen. So lernte Sherrill Milnes nicht nur Klavier, sondern ebenso Geige, Bratsche, Kontrabass, Klarinette und Tuba. Kein Wunder also, dass er später nicht nur wegen seiner außergewöhnlichen Stimme, sondern auch wegen seiner großen Musikalität bewundert wurde.
Mit 30 an die MET
Milnes studierte an der Drake University Musikpädagogik, schloss mit dem Magistergrad ab und wollte eigentlich Musiklehrer werden. Doch dann beteiligte er sich an mehreren Gesangswettbewerben und wurde mit 25 Jahren an die Boris Goldovsky Opera Company engagiert, mit der er jahrelang durch die USA tourte und sich dadurch bereits ein ansehnliches Repertoire erarbeitete.
1964 landete er schließlich bei der New York City Opera und eroberte sich ein Jahr später die Metropolitan, zu deren absoluten Stars er bald darauf zählte, für mehr als drei Jahrzehnte. Seine Debütrolle an der MET am 22. Dezember 1965 war der Valentin in Gounods "Faust" unter Georges Prêtre, und auch seine Bühnenschwester feierte an diesem denkwürdigen Abend ihr Debüt an diesem vielleicht berühmtesten Opernhaus der Welt: Montserrat Caballé.
Legendäres Platten-Duo
Zusammen mit ihr und Placido Domingo begann etwa zu dieser Zeit auch die Plattenkarriere dieser drei Ausnahmekünstler. Es entstanden unzählige Gesamtaufnahmen, aber ebenso interessante Arien- und Duettplatten, wobei insbesondere die Paarung Domingo/Milnes an historische Vorbilder erinnerte, etwa an Caruso/Ruffo, Gigli/De Luca oder Björling/Merrill.
Aber Domingo und Milnes gingen noch weiter. Auf einer gemeinsamen Arienplatte aus den frühen 1970er Jahren dirigiert Domingo die Beiträge von Milnes und umgekehrt. Domingo hat das Dirigieren schließlich sogar zu einer Art zweiter Berufsschiene ausgebaut, während das für Sherrill Milnes doch weitgehend ein Hobby geblieben ist; immerhin aber hat auch er es als Dirigent bis in die Carnegie Hall geschafft.
Debüt in Wien
"In Vienna I was Böhm's boy" schreibt er in seinen Memoiren, und spielt dabei auf die Tatsache an, dass es Karl Böhm gewesen ist, der ihm zu seinen Europa-Debüt verholfen hat, nachdem er ihn an der MET als Minister in "Fidelio" und als Heerrufer in Lohengrin gehört hatte. Dieses Europa-Debüt fand 1970 an der Wiener Staatsoper statt, wo Böhm bereits zum dritten Mal eine Neuproduktion von Verdis "Macbeth" leitete, in der Regie von Otto Schenk.
Nach Paul Schöffler (1943) und Josef Metternich (1953) sang nun Sherrill Milnes die Titelpartie und schlug ein wie eine Bombe, ja rund um diese Premiere feierte man so etwas wie "Milnes-Festwochen", in denen er neben Macbeth auch noch Luna und Valentin sang.
Breites Repertoire
Allerdings hat sich diese Frequenz in der Zukunft leider nicht fortgesetzt - insgesamt ist Sherrill Milnes bis 1994 gerade 50 Mal an der Wiener Staatsoper aufgetreten. Wie auch immer, das Publikum hat ihn jedenfalls sofort ins Herz geschlossen. Für die meisten war er im Jahr 1970 jedoch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, und so kannten wohl auch nur wenige seine erste Arienplatte, auf der er insbesondere seine große Vielseitigkeit unter Beweis gestellt hatte, unter anderem mit Ausschnitten aus Opern von Händel, Rossini, Puccini, Offenbach, Tschaikowsky und vor allem natürlich Giuseppe Verdi.
Erstaunlicherweise ist diese außergewöhnliche Platte von seiner langjährigen Stammfirma RCA bislang nicht auf CD wiederveröffentlicht worden, zumindest nicht in unseren Breiten. Dennoch zählt Sherrill Milnes heute zu den bestdokumentierten Sängern seiner Zeit.
A lucky man
Milnes' großer Mentor Karl Böhm holte ihn 1977/78 als Don Giovanni auch nach Salzburg, allerdings hält Milnes seine Stellung als "Böhm's boy" ausschlaggebend dafür, dass ihn Herbert von Karajan deshalb so gut wie nie engagiert hat. Vor derartigen kleinlichen Eifersüchteleien sind eben auch große Geister leider nicht gefeit.
Insgesamt betrachtet aber fällt die Lebensbilanz von Sherrill Milnes, der sich inzwischen von der Bühne zurückgezogen hat, äußert positiv aus, wie wir in seinen 2007 erschienenen Erinnerungen lesen können: "I look at my career and am very grateful. As I write this latest chapter of my life, I realize that on balance I am a lucky man. .Unlike most of my very familiar Verdi operas, life can have a happy ending."
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 12. Jänner 2010, 15:05 Uhr