Wieder kein "Bruttosozialglück" in Österreich
Prognose 2010. Eine Satire
Erstaunliches ereignete sich in den ersten Jännertagen im Herzen der Stadt Wien. Unbemerkt von der Öffentlichkeit diskutierten Kanzler und Vizekanzler mit dem Bundespräsidenten eine Verfassungsänderung, genauer gesagt: eine Neuformulierung des Artikel 1.
8. April 2017, 21:58
Erstaunliches ereignete sich in den ersten Jännertagen 2010 im Herzen der Stadt. Unbemerkt von der Öffentlichkeit, weil wieder einmal der unterirdische Gang zwischen Hofburg und Kanzleramt benutzt wurde, diskutierten Kanzler und Vizekanzler im Schatten des extra als Ablenkungsmanöver inszenierten Eberau-Disputes mit dem Bundespräsidenten eine Verfassungsänderung. Das Geheimpapier, es trug die Bezeichnung "Projekt Wählerglück", sah die Neuformulierung des Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes vor. Dort heißt es bis heute: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Im verschlüsselten Entwurf lautete der erste Satz dagegen: "Österreich ist eine glückliche Republik."
Zur Vorgeschichte: Vizekanzler Josef Pröll, der auf dem Rückflug von seinem Malediven-Urlaub überlegte, wohin ihn seine nächste private Auslandsreise führen sollte, entschied sich für das kleine Königreich Bhutan. Immerhin betreut Österreich dort seit Jahren erfolgreiche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. Pröll erwarb sogleich einen Reiseführer. Seltsames stand da zu lesen über das kleine Land, das am Fuße des Himalaya zwischen Indien und Tibet gelegen ist. So werde, und der Finanzminister musste unwillkürlich den Kopf schütteln, das Wohlergehen des Landes nicht mehr am Bruttosozialprodukt gemessen, sondern am Glück seiner Bürger.
Der frühere König Jigme Singye Wangchuk hatte verfügt, anstelle des "Bruttonationalprodukts" das "Bruttosozialglück" seiner Bevölkerung als Maßstab für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik einzuführen. Dem Irrglauben, nur immerwährendes Wachstum, funktionierende Märkte und technologischer Fortschritt könnten jedes Problem lösen, wollte der König nicht folgen. Die Welt des Konsums als Ort der Glückseligkeit erschien dem Buddhisten ohnehin als eine Welt der falschen Vorspiegelungen. Die Staatsphilosophie des "Bruttosozialglücks" - so das Ziel - soll ein Gleichgewicht zwischen materiellem Fortschritt und spirituellem Wohlergehen herstellen. Es wurden Parameter des Glücklichseins festgelegt: Wohlbefinden, Gesundheit, Bildung, Staatsführung, der Lebensstandard und ökologische Vielfalt zählen zu den wichtigsten.
Kaum war der Josef Pröll in Wien gelandet eilte er in das Büro des Bundeskanzlers. Werner Faymann lächelte, als sein Vize von der Idee, das Bruttosozialglück als Maßgröße des Glücklichseins hierzulande einzuführen, schwärmte. "Ich bin ein Kind des Glücks", sagte der Kanzler, "wie könnte ich den Vorschlag ablehnen?" Allerdings machte der Kanzler unmissverständlich klar, dass er dem Vorschlag nur zustimmen könne, wenn das Glück im Artikel 1 entsprechend verankert werde und der Bundespräsident dem Vorschlag wohlwollend gegenüberstehe. Schließlich müsse dieser doch das Gesetz unterschreiben.
Doch das Staatsoberhaupt zeigte Bedenken. Im Wahljahr 2010 werde eine Zweidrittelmehrheit im Parlament wohl nicht zustande kommen. Und: vielleicht demonstriere das Wahljahr gar, dass sich das Glück nicht an den geänderten Artikel 1 "Österreich ist eine glückliche Republik", halte. Sprach‘s, nahm eine Euro-Münze und drehte sie auf der Tischplatte. "Mozart oder Europa?", fragte Heinz Fischer. "Mozart" antworteten beide Politiker wie aus einem Munde. Doch die Münze entschied sich nicht. Sie trotzte der Entscheidungshilfe und blieb auf ihrer Schmalseite stehen. Heinz Fischer bewahrte Fassung: "Das Pech, das wir nicht haben, ist unser Glück." Österreich ist doch eine glückliche Republik.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 14. Jänner 2010, 21:00 Uhr