Wer verarmt, verliert substanzielle Freiheiten

"Armut darf nicht als Tatsache hingenommen werden"

Die EU hat 2010 das "Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung" ausgerufen. Für Michael Landau, Direktor der Caritas Wien, ist die Änderung der Lebensverhältnisse von Armen eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Wollens.

Die Europäische Union will in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit auf den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung legen. Deshalb wurde das Jahr 2010 zum "Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung" proklamiert. Zwar gehören die Systeme der sozialen Absicherung in den Mitgliedsstaaten der EU zu den fortschrittlichsten der Welt, aber dennoch leben auch heute noch zu viele Europäer in Armut.

Einige wenige Zahlen sprechen eine klare Sprache: 79 Millionen Menschen leben in EU-Europa unterhalb der Armutsgrenze. Dies sind nicht weniger als 16 Prozent der europäischen Bevölkerung. In Österreich sind 1,1 Millionen Menschen armutsgefährdet. Das entspricht knapp 13 Prozent der Bevölkerung. Armutsursache Nummer 1 ist Arbeitslosigkeit.

Auschluss aus dem Alltagsleben

Arm ist nicht nur, wer in Pappschachteln am Bahnhof übernachten muss, sondern wer aus dem Alltagsleben ausgeschlossen ist. Die Statistik spricht von Armut und sozialer Ausgrenzung, wenn neben einem geringen Einkommen schwierigste Lebensbedingungen auftreten: Die Betroffenen können abgetragene Kleidung nicht ersetzen, die Wohnung nicht angemessen warm halten, keine unerwarteten Ausgaben tätigen, sie weisen einen schlechten Gesundheitszustand auf, sind chronisch krank und leben in feuchten, oft schimmligen Wohnungen.

Menschen, die in Armut leben, sind doppelt so oft krank wie Nicht-Arme. Die armen Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen. Übrigens: die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und Infarktrisiko tritt bei Armutsbetroffenen dreimal häufiger auf als bei Managern.

Keine Teilhabe an der Gesellschaft

Wer arm ist, hat weniger freundschaftliche und nachbarschaftliche Kontakte. Konkret bedeutet Armut: kaum die Möglichkeit zu besitzen, in zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestmaß teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, Bildung. Wer verarmt, verliert substanzielle Freiheiten.

"Armut darf nicht als Tatsache hingenommen werden. Die Änderung solcher Lebensverhältnisse ist eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Wollens." Meint Michael Landau, Caritas-Direktor, Wien.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 21. Jänner 2010, 21:00 Uhr

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