Alltag in einem totalitären Staat
Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Herta Müllers Roman ist die sinnliche und verstörende Beschreibung einer Diktatur. Kein plakatives, grelles Porträt, sondern eine Vielzahl kurzer Szenen. Das eigentliche Abenteuer dieses Romans ist einmal mehr Herta Müllers Sprache. und
8. April 2017, 21:58
Zahnbürste, Zahnpasta und ein kleines Handtuch kommen mit. Aber kein Taschentuch. Weinen will sie nicht, das nimmt sich die junge Frau vor. Sie ist bestellt. Donnerstag, Punkt zehn muss sie sich beim Geheimdienst einfinden, um verhört zu werden. Eine Prozedur, die sie schon öfter hinter sich gebracht hat. Und was würde ihr nun wieder blühen? Erstmals packt sie auch das Nötigste für die Nacht ein, sie hat Ahnungen.
"Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" lautet der Titel jenes Romans, der Herta Müllers Trilogie über den Alltag in einem totalitären Staat abschließt. Das Buch ist 1997 erstmals erschienen, nun liegt es in jener Neuausgabe vor, auf die man schon gewartet hatte. Zusammen mit den Romanen "Herztier" und "Der Fuchs war damals schon der Jäger" führt es vor, wie Spitzelwesen, Denunziation und Überwachung nach dem Innersten des Menschen greifen, ihn korrumpieren und zerrütten.
Ans Messer geliefert
Diesmal ist es eine junge Arbeiterin, die der Securitate in die Hände fällt, eine Näherin aus einer Textilfabrik. Sie kennt Major Albu, ist ihm schon etliche Male gegenüber gesessen und von ihm vernommen worden. Einmal mehr graut ihr davor, seinen Speichel auf der Hand zu spüren, wenn er diese zusammenquetscht und zu einem widerlichen Kuss an den Mund führt. Eine von vielen Demütigungen, die sie ertragen muss.
Sie wolle Rumänien verlassen, wirft man ihr vor. Und natürlich stimmt das. In den Taschen der Hosen, die in einer rumänischen Fabrik gefertigt werden und dann nach Italien gehen, hat sie Zettel mit ihrem Namen und ihrer Adresse versteckt - und mit dem Satz: ti aspetto, ich erwarte dich. Zehn kleine Zettel, die ihr zum Verhängnis werden.
Just jener Kollege, den sie nach einer kurzen Affäre abblitzen ließ, denunziert sie. Erste Verhöre folgen, vorerst kommt sie frei. Bis drei weitere Zettel auftauchen, diesmal in den Hosen für Schweden. "Grüße aus der Diktatur" steht da zu lesen. Geschrieben hat sie aber keinen von ihnen. Nun ist sie ihre Stelle wirklich los. Sie ahnt, wer sie ans Messer geliefert hat: Nelu, der abgewiesene Geliebte. Seine billige kleine Rache mündet in eine Tragödie. Landesverrat ist das Verbrechen, dessen man sie bezichtigt. Der Alltag wird zum Spießrutenlauf.
Misstrauen und Bitterkeit
Die Nerven, die wurden Glitzerdraht. Keine Schwere mehr, die das Fleisch zu wiegen hätte, nur gestreckte Haut, und Luft in den Knochen. Ich musste in der Stadt auf der Hut sein, mir nicht zu entwischen wie im Winter der Atem, oder mich beim Gähnen nicht selber zu schlucken. Ich konnte den Mund nicht so weit öffnen, wie ich innen fror. Ich fing an, mich von etwas Leichterem als mir getragen zu fühlen und Gefallen daran zu finden, je mehr ich innerlich taub war. Andererseits hatte ich Angst, dass die Gespensterei noch schöner wird, und dass ich keinen Finger rühren werde gegen sie und für die Umkehr. (...) Ich legte mich mit dem Gesicht nach unten ins Gras und spürte keines. Ich wäre so gleichgültig gern tot darunter gewesen und lebte so verteufelt gern.
Die junge Frau aus "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" hat die Methoden der Staatspolizei längst durchschaut, sie hat erlebt, wie Opportunismus und Verrat bis in die Familienstrukturen hinein wüten. Misstrauen und Bitterkeit zersetzen die Gesellschaft. Sie selbst will sich in ihrem Widerstand nicht brechen lassen.
Das Glück und seine Grenzen
An jenem Donnerstag, an dem sie einmal mehr bestellt ist, besteigt sie des Morgens die Straßenbahn und durchquert die Stadt, um pünktlich bei Major Albu einzutreffen. Die Fahrt wird zum Stationendrama, im wahrsten Sinn des Wortes. Während die Tram durch die Straßen ruckelt und an den Haltstellen immer neue Menschen aufnimmt und wieder ausspuckt, ziehen Erinnerungen an der Ich-Erzählerin vorüber: an ihre Kindheit im Rumänien der Nachkriegszeit, an die Jahre der Suche nach den Möglichkeiten des Glücks und die Erfahrung der Ohmacht. Eine erste Ehe, eine zweite. Kurze Episoden des Glücks.
...aber lachen musste ich weiter, immer glucksender lachen, wie ein Anfall. Wieder so lange lachen, bis ich darüber hinaus war. Tief ein- und ausatmen auf einmal, vor Luft platzen und keine mehr haben, das war das Ende. Aber der Anfang war Glück. Dass man aufs Lachen tanzen konnte, dass die kurze Leine riss, an der wir ständig angebunden waren. Dass uns ein Totenlied die Schläfen von innen warm anhauchte, muss Glück gewesen sein. Bis wir uns voreinander schämten, bis die Leine kürzer wurde als die Nase, so lange war es Glück.
Sehnsüchte kommen nur zu schnell an ihre Grenzen, der Himmel scheint erst jenseits der Staatsgrenzen zu beginnen. "Das Misslingen des Glücks läuft fehlerfrei", wie es heißt, "es hat uns gebeugt." Persönliche Beziehungen werden zu Sackgassen, Gefühle verkümmern. Die Ich-Erzählerin ist allein: Ihr Mann greift schon morgens zur Flasche, die beste Freundin ist beim Versuch, über die Grenze nach Ungarn zu flüchten, erschossen worden, der geliebte Großvater, dereinst enteignet und deportiert, ist längst tot. Und auch sie selbst ist auf dem besten Weg, als politisch unzuverlässiges Element inhaftiert zu werden und zu verschwinden. Wenn sie denn wirklich pünktlich bei Major Albu ankäme - wenn...
Beklemmende Welt
Herta Müllers Roman ist die sinnliche und verstörende Beschreibung einer Diktatur. Kein plakatives, grelles Porträt, sondern eine Vielzahl kurzer Szenen, die sich erst nach und nach zu einem Ganzen zusammenfinden. Das eigentliche Abenteuer dieses Romans ist einmal mehr die Sprache. Ungerührt und lakonisch bewegt sich die Autorin durch eine beklemmende Welt. Ihre Metaphern sind kühn und gleichzeitig luzid. Bilder wie Findlinge, Nachrichten aus einer fremden Welt. Sie öffnen den Blick, machen ihn weiter und schärfer. Vertrautes scheint unversehens in einem vollends anderen Licht.
Das Leben sei nichts anderes als ein Furz in der Laterne, hat der Großvater seiner Enkelin beigebracht, es lohne sich gar nicht, die Schuhe überhaupt anzuziehen. Dort wer es gar nicht erst versucht, bleibt auf der Strecke. Für Herta Müller stand der Nobelpreis am Rand ihres Weges. Stockholm sei Dank für diese Entscheidung.
Hör-Tipps
Im Gespräch, Donnerstag, 28. Jänner 2010, 21:00 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Herta Müller, "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet", Carl Hanser Verlag
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Hanser Literaturverlag - Herta Müller