Momentaufnahme der Geschichte

Pompeji

Am 24. August 79 n. Chr. versank Pompeji in den Glut- und Aschemassen des Vesuvs. Das Drama für die Bewohner damals wurde zum großen Glücksfall für die Archäologen heute. Ein prächtiger Bildband zeigt nun die neuesten archäologischen Erkenntnisse.

Man hörte das Geheul der Frauen, der Kinder Gewimmer; das Schreien der Männer; es gab solche, die in ihrer Todesangst den Tod herbei wünschten; viele erhoben die Hände zu den Göttern, noch mehr behaupteten, es gebe jetzt keine Götter mehr und dies sei die ewigdauernde und letzte Nacht für die Welt.

So beschrieb Plinius der Jüngere, römischer Senator und Schriftsteller, den tragischen Untergang Pompejis. Die damals kaum bedeutende, kleine Provinzstadt lag strategisch günstig am Fluss Sarno, mitten in den fruchtbaren Ebenen Kampaniens und genoss wegen des Hafens erheblichen Wohlstand. Griechen, Etrusker, Samniten und Römer waren an ihrer Entwicklung interessiert.

Völlig überraschender Vulkanausbruch

Schon früh schützten Stadtmauern die Siedlung, die durch sieben befestigte Tore zugänglich war. Im Laufe der Zeit entstanden auf den Äckern innerhalb der Stadtmauern zahlreiche Wohnhäuser, Geschäftslokale, Werkstätten, Verwaltungsgebäude, Tempel, Thermen und ein großes Amphitheater. Der heftige Ausbruch des Vesuvs kam völlig überraschend für die Menschen, die in seinem Schatten lebten. Er zerstörte sämtliche Städte und Dörfer südöstlich seiner Mitte und hinterließ der Nachwelt ein bemerkenswertes Vermächtnis: eine komplette römische Stadt, die in einer Momentaufnahme der Geschichte erhalten blieb. Schilderungen von der unabsehbaren Katastrophe beeindrucken noch heute.

Es wurde wieder dunkel, es fiel wieder Asche, dicht und schwer. Immer wieder standen wir auf und schüttelten diese von uns ab; sonst wären wir zugedeckt und vom Gewicht auch erdrückt worden.

Sexuell freizügig

Wie lebten die Römer also wirklich? Recht freizügig möchte man meinen, wenn man die Fülle an erotischen Szenen auf Wandgemälden oder Kunstgegenständen in Wohnhäusern, aber auch in öffentlichen Gebäuden näher betrachtet. Die ersten Ausgräber waren von den expliziten Darstellungen dermaßen schockiert, dass diese auf Anweisung König Karl III. entfernt und unter Verschluss gehalten wurden. In einem "Geheimkabinett" waren sie lange Zeit nur auserwählten männlichen Besuchern mit Sondergenehmigung zugänglich.

Während Phalli als Symbole des Glücks und des Wohlstandes ungeniert praktisch an jeder Hausecke angebracht waren, sind eindeutig sexuelle Szenen dann doch hauptsächlich in Schlafgemächern und Bordellen zu finden.

Großes Vergnügen bereiteten den Menschen von Pompeji auch die Gladiatorenkämpfe, die ursprünglich nur zu Ehren von Verstorbenen bei Bestattungsriten stattfanden. Zahlreiche Graffiti zeugen von wahrer Leidenschaft, Rivalität und Fantum - ähnlich heutigen Verhältnissen beim Fußball!

Alles Schlechte den Nucerianern!
Den Pompejanern eins auf die Nase!
Glück den Puteolern!
Alle Mädchen schwärmen für Celadus den Thraker!

Quirliges Treiben

Nirgendwo sonst bekommt man einen derartig genauen Einblick in die Lebensweise der Römer. Zahlreiche Fotos und Grafiken zeigen das Leben in den Thermen mit ihrem ausgeklügelten System an Kalt-, Warm- und Schwitzbädern; das ideale Wohnhaus mit Atrium, Zisterne, Garten mit Säulengängen, Schlafgemächern und Wohnräumen oder die detaillierte Anordnung und Funktion von Tempeln, Theatern und anderen öffentlichen Gebäuden.

Der reichhaltige Bildband auf Basis neuester archäologischer Erkenntnisse lässt tatsächlich das Geschehen vor knapp 2000 Jahren auf anschauliche Art aufleben. Inschriften, Wandgemälde, Mosaiken, Graffiti - zahlreiche Exkurse geben neue Einblicke in die politische Ordnung, das wirtschaftliche Leben und das gesellschaftliche System, zeigen aber auch die Freuden und Leiden einer lange versunkenen Welt und tauchen ein in die Atmosphäre einer vom quirligen Treiben beherrschten Handels- und Hafenmetropole.

Eine Reise wert

Noch näher als mit diesem Buch kommt man dem Phänomen "mumifizierte Stadt" wohl nur, wenn man sich selbst in die besterhaltene antike Stätte begibt. Und selbst dann ist dieser Prachtband die beste Vorbereitung. Denn von der Faszination Pompejis ließ sich schon Goethe bei seiner berühmten italienischen Reise anstecken:

Sonntag waren wir in Pompeji. Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte. Ich weiß nicht leicht etwas Interessanteres.

Service

Joanne Berry, "Pompeji", aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Bischoff, Verlag Zweitausendeins