Martin Walsers neue Novelle "Mein Jenseits"
Tod ist für mich ein Fremdwort, Sterben nicht
Am 10. Februar kommt die neue Novelle von Martin Walser in die Buchhandlungen. Um Liebe und Religion geht es in dieser "Auskopplung" aus dem Roman "Muttersohn", der 2011 erscheinen soll. Im Interview spricht Walser über sein Verhältnis zu Religion, Tod und Sterbehilfe.
8. April 2017, 21:58
Der Schriftsteller Martin Walser hat mit 82 Jahren eine neue Novelle mit dem Titel "Mein Jenseits" vorgelegt. Das Werk ist bei der Arbeit an seinem Roman "Muttersohn" entstanden, der 2011 bei Rowohlt erscheinen soll. In der Novelle erzählt der Held Augustin Feinlein, Chef eines Psychiatrischen Landeskrankenhauses, seine Lebensgeschichte, die eine Glaubensgeschichte ist. "Wir glauben mehr, als wir wissen", lautet sein Credo.
Gisela Mackensen: Wieviel Martin Walser steckt in Augustin Feinlein?
Martin Walser: "Das kann man bei keinem Helden sagen. Ich glaube tatsächlich, dass das Wissen überschätzt wird in seiner Bedeutung für jeden einzelnen Menschen, für sein Innenleben. Die Handlungen, Glück und Unglück eines Menschen werden viel mehr von dem bestimmt, was er glaubt, als von dem, was er weiß. Liebe zum Beispiel ist eine reine Glaubenssache. Man weiß von einem anderen Menschen nicht wirklich etwas. Man glaubt, dass er so und so empfindet. Was da zusammenkommt als Bild von einem Menschen, das lässt sich nicht in mitteilbare Größen aufteilen.
Wie stellen Sie sich Ihr persönliches Jenseits vor?
Das ist glaubensabhängig. Der Glaube ist ein andauernder Prozess, eine andauernd schöpferische Empfindungstätigkeit. Glaube ist Seelenarbeit. Wenn die Seelenarbeit erlischt, dann erlischt man. Feinlein sagt: Rom ist mein Jenseits. Da ist so viel sinnliche Gegenwart, das sind Bilder, Statuen, Kirchen. Das Jenseits muss sinnlich-gegenwärtig, jetzt erlebbar sein."
Ist der Glaube für Sie im Laufe ihres Lebens wichtiger geworden?
Ich vermute, dass ich von Anfang an glaubensabhängig war. Warum bin ich aus dieser Kirche nie ausgetreten? Ich bin kein regelmäßiger Kirchgänger, aber bei Oratorien werden Sie mich fast immer sehen. Für mich ist die Kirche von schwer begrenzbarer Richtigkeit in meinem Leben. Das war schon als Kind so. Die Priester meiner Kindheit und Jugend haben sich mir unauslöschlich als Erfahrung und Erlebnis eingeprägt.
Gibt es für Sie ein Leben nach dem Tod?
Die Auferstehungsgeschichte ist nichts als Literatur - das ist allergrößte, allerschönste Literatur. Ich genieße diese Evangelien wie ich Bach, Beethoven oder Mozart genieße. Ich möchte auch ein bisschen von dieser Literatur geschrieben haben, auf meine heutige Art, wie man heute dieser Fassungslosigkeit Tod gegenübersteht.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Tod ist für mich ein Fremdwort. Sterben nicht, das ist das, worauf wir zuleben. In meinem Roman "Angstblüte" bringt sich der Bruder des Helden um. Ich hasse das Wort Selbstmord: Da läuft die ganze Sprachtradition in eine Sackgasse. Dass man das freiwillige Ende einen Selbstmord nennt, das ist absurd. Ich bin auch sicher, in 100 Jahren wird man uns zum Mittelalter zählen, weil wir das Aufhören des Lebens der Natur ganz überlassen haben. Da wird es andere Wege geben. Das wird sich entwickeln, und zwar so, dass es dann verständig, akzeptabel und allgemein praktizierbar ist. Sterbehilfe-Organisationen sind die Avantgarde der Zukunft. Immer reden welche, die gerade gar nicht leiden, davon, dass andere das Leiden aushalten sollen. Sie reden vom Leiden wie der Blinde von der Farbe. Dass es Debatten über Sterbehilfe gibt, heißt ja, es gibt eine Entwicklung.
Würden Sie für sich auch Hilfe in Anspruch nehmen?
Die Patientenverfügungen, die festlegen, dass man diese oder jene Behandlung nicht will, sind auch ein Schritt in diese Richtung. Meine Frau hat das schon in die Wege geleitet. Dieser Naturalismus des Sterbens, dass die Leute bis zum Schluss bei Bewusstsein leiden müssen! Unter den Verfechtern des natürlichen Todes gibt es Menschen, die können dazu Stellen aus den Schriften zitieren. Aber das interessiert mich nicht.
Warum erscheint "Mein Jenseits" in dem kleinen Verlag Berlin University Press?
Verlagschef Gottfried Honnefelder war früher bei Suhrkamp ein sympathischer Partner. Ich habe ihm zu irgendeiner Zeit versprochen, dass ich ein Buch bei ihm mache, wenn er mal einen Verlag hat. Bei meiner Arbeit am Roman "Muttersohn" hat sich eine Partie verselbstständigt. Die war brauchbar, um jenes Versprechen einzulösen.
Sie waren kürzlich beim Suhrkamp-Umzugsempfang in Berlin. 2004 hatten Sie den Frankfurter Verlag aufgrund der Kontroverse um Ihren satirischen Roman "Tod eines Kritikers" verlassen. Haben Sie sich versöhnt?
Ich hatte ruhige und ausführliche Gespräche mit der neuen Suhrkamp-Verlagsleitung. Da habe ich mich beklagen dürfen, wie er so viele meiner Bücher einfach verramscht hat. Das wurde sofort gestoppt. Insofern befinde ich mich mit dem Verlag in Frieden. Diesem Frieden wollte ich auch dadurch Ausdruck geben, dass ich nach Berlin geflogen bin.