Wie sie Ihr Leben verändern wird
Die neue Psychologie der Zeit
Jeder Mensch seine eigene zeitliche Orientierung. Den Psychologen Philip Zimbardo und John Boyd geht es darum, verschiedene Zeitperspektiven bewusst zu machen und eine zu starke, "ungesunde" Orientierung in die eine oder andere Richtung zu korrigieren.
8. April 2017, 21:58
Glauben Sie, dass Ihr Leben vor allem vom Schicksal bestimmt wird? Denken Sie, Sie hätten in der Vergangenheit vieles anders machen sollen? Tragen Sie eine Uhr, prüfen Sie Ihre Kontobewegungen und erstellen tägliche To-Do-Listen? Oder sind Sie vielleicht der Mittelpunkt jeder Feier - immer zu spät, immer gut gelaunt und immer im Minus?
Das sind einige Punkte aus einem umfangreichen Fragebogen, den man - so empfehlen es die Autoren - vor Lektüre des Buches ausfüllen sollte. Denn damit lasse sich ermitteln, welcher "Zeittyp" man sei, und feststellen, wie sich jeder von uns individuell in der Zeit orientiert.
Unterschieden wird zwischen drei Mal zwei verschiedenen Zeitperspektiven, die zunächst detailliert beschrieben und analysiert werden: Die Vergangenheit kann positiv oder negativ gesehen beziehungsweise empfunden werden, die Gegenwart fatalistisch oder hedonistisch, die Zukunft einfach als solche oder mit transzendentalem Hintergrund. Zwar entspreche, so betonen die Autoren, niemand nur einem Zeit-Typus allein, und Zeitperspektiven seien auch durchaus wandelbar, aber: eine stärkere Tendenz da- oder dorthin genüge schon, um unser Denken, Fühlen und Handeln - vielleicht sogar entscheidend - zu beeinflussen.
Die Mischung macht's
Zu einseitige Zeitperspektiven können hemmend wirken, können unglücklich und sogar krank machen, haben Psychologen herausgefunden. So seien zum Beispiel Menschen, die sich zu ausgiebig mit negativen Ereignissen in der Vergangenheit beschäftigen, auch im allgemeinen Leben ängstlicher, aggressiver und neigten eher zu Depressionen.
Allzu stark an der Gegenwart orientierte Menschen wiederum, denen es oft vor allem um rasche Bedürfnisbefriedigung gehe, seien anfällig für Süchte aller Art, neigten zu Verschwendung und riskantem Sexualverhalten und auch ganz generell zu sorglosem Umgang mit ihrer Gesundheit. Die Nach-Vorne-Blickenden, also die Zukunftsorientierten, die hätten zwar mehr Geld und Erfolg, seien im Allgemeinen auch weniger depressiv, litten aber dafür unter ständigem Zeitdruck und einem wenig erfüllten Privat- und Sexualleben.
So liegt es auf der Hand, dass eine ausgeglichene Zeitperspektive, die Elemente einer positiven Vergangenheitsorientierung, des Gegenwartshedonismus und der Zukunftsorientierung kombiniert, am besten dazu geeignet ist, aus der Vergangenheit zu lernen, die Gegenwart zu genießen und für die Zukunft zu planen.
Unterstützende Fragebögen
Wie wichtig ein derart ausbalanciertes Verhältnis von Gestern, Heute und Morgen sei, ja, wie entscheidend für unser Lebensglück, werden die beiden Autoren nicht müde zu betonen - und finden dabei oft recht anschauliche Vergleiche:
Das Streben nach Glück ohne ausgeglichene Zeitperspektive ist, als würde man großartige Musik in Mono hören, guten Wein mit einer verstopften Nase trinken oder ohne Vorspiel Liebe machen. Diese Aktivitäten bleiben angenehm, aber es fehlt ihnen die sensorische Vollständigkeit, die das Glück vollkommen macht.
Und dann erläutern Philip Zimbardo und John Boyd anhand verschiedener Übungen und Fragebögen, aber auch in Selbsterfahrungsberichten, wie man verschobene Zeitperspektiven zum eigenen Vorteil verändern kann.
Perspektiven des Lebens
Der zweite Teil des Buches hat ausgesprochenen Ratgebercharakter. Hier werden Zusammenhänge zwischen Zeitperspektiven und ganz verschiedenen anderen Aspekten des Lebens beleuchtet, wie etwa Körper und Gesundheit, Karriere- und sonstige Planungsentscheidungen und Geld, Liebe und Glück, und es gibt auch Ratschläge, wie man clever investiert, seinen Ruhestand mit der vielen geschenkten Zeit am besten verbringt - und, nicht zuletzt, wie eine Partner-Beziehung mit zwei Menschen unterschiedlicher Zeitperspektiven funktionieren kann.
"Die neue Psychologie der Zeit" geht aber auch immer wieder über die persönliche Ebene hinaus, beschreibt, wie zeitliche Orientierung ganze Nationen beeinflusst und welche Rolle sie in Wirtschaftsleben und Politik spielt.
Die "transzendentale Zukunft"
Sogar Phänomene wie Selbstmordattentate werden damit erklärt: Es sei nämlich vor allem die Fixierung auf die Zeitperspektive "transzendentale Zukunft", die - laut Zimbardo und Boyd - in diesem Zusammenhang eine große Rolle spiele - anders gesagt: die Aussicht auf ein besseres Leben nach dem Tod. Der Krieg gegen den Terrorismus sei deshalb nicht zuletzt ein "Krieg der Zeitperspektiven". Sich dessen bewusst zu sein, bedeute schon einen Schritt zur Lösung des Problems.
Der Glaube an eine transzendentale Zukunft kann nicht bewiesen, widerlegt oder zerstört werden. Bekämpft man einen Gegner, der große Ziele für die transzendentale Zukunft hat, indem man seine Ziele für die weltliche Zukunft zerstört, dann sorgt man dafür, dass nur seine Ziele für die transzendentale Zukunft noch erreichbar sind. Wir werden den Krieg gegen den Terrorismus nicht gewinnen, indem wir die Zukunft unseres Feindes zerstören, sondern nur, indem wir sie fördern. Die Motivationskraft der weltlichen Zukunft muss wiederhergestellt werden, wenn weltliche Zukunftsziele mit solchen der transzendentalen Zukunft konkurrieren sollen.
30 Jahre Forschung
Es gelingt den beiden Psychologen Philip Zimbardo und John Boyd ganz ausgezeichnet, die menschlichen Zeit-Begriffe und ihre Bedeutung in sämtlichen Bereichen des Lebens aus ungewöhnlichen Perspektiven zu beleuchten. Das Buch vereint mehrere Qualitäten: Es fasst 30 Jahre Forschung zum Thema subjektive Zeit fundiert zusammen, ist allgemein verständlich und darüber hinaus auch noch unterhaltsam zu lesen. Zimbardo und Boyd, die viel über ihre eigenen Erfahrungen mit Zeitperspektiven berichten, sind sympathische und gar nicht abgehobene Wegbegleiter bei der Lektüre. Ein lesenswertes Buch mit vielen Anregungen, über sich selbst und die Zeit nachzudenken.
Die Unbezahlbarkeit der Zeit macht sie zum großen Gleichmacher. Wir müssen alle das Blatt spielen, das die Zeit uns gibt. Wir können keine Karten dazukaufen oder umtauschen, egal, wer wir sind. Allerdings können wir lernen, das uns gegebene Blatt effektiver zu spielen (...).
Service
Philip Zimbardo, John Boyd, "Die neue Psychologie der Zeit. Und wie sie Ihr Leben verändern wird", aus dem Englischen übersetzt von Karsten Petersen, Spektrum Akademischer Verlag