Die Zukunft bedarf eines neuen Vokabulars

Über die Zukunft der Zukunft

Unter dem Titel "Futurity now!" begab sich die die transmediale.10 auf die Suche nach einer verlorenen Zukunft. Die transmediale zählt zu den weltweit bedeutendsten Festivals für digitale Kultur, und ist somit auch eine Art Fachmesse für Zukünftiges.

Stephen Kovats, Leiter der transmediale, über die digitale Zukunft

Antiquiert-futuristisch mutet das Haus der Kulturen der Welt, 1957 am Spree-Ufer als Kongresshalle errichtet, mit seinem ausladenden, geschwungenen Dach an. Dass es als Hauptaustragungsort der transmediale einmal im Jahr zum Labor für zukunftsweisende Kunst, für Experimente mit neuen Medien, Kommunikationsformen und Technologien wird, wirkt dabei keineswegs anachronistisch. Schon gar nicht heuer: das Motto der transmediale lautet "Futurity now!", also so viel wie "Zukünftigkeit jetzt!".

Die Zukunft ist Gegenwart geworden

Jetzt, also 2010, sind Technologien und Medien-Praktiken, die noch vor kurzem als Zukunftsmusik galten, im Alltag angelangt und zur kaum hinterfragten Selbstverständlichkeit geworden. Was ist dann jetzt an unserem Konzept von Zukunft tatsächlich noch zukunftsträchtig?

Für Stephen Kovats, den künstlerischen Leiter der transmediale, hat sich die Gesellschaft in ihren eigenen Zukunftsvorstellungen verfangen. Es bedürfe jetzt - am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhundert - eines neuen Vokabulars zur Definition und Mitgestaltung der Zukunft, so Stephen Kovats.

Google mit Kätzchen

FAT steht für Free Art and Technology. Von zwei Amerikanern gegründet, ist die Künstler-Gruppe FAT auf knapp zwanzig Mitglieder in mehreren Ländern angewachsen. Kommuniziert wird normalerweise in Internet-Foren und über Mailinglisten - einige FAT-Mitglieder lernten sich bei der temporären FAT-Arbeitsstätte im Rahmen der transmediale erstmals persönlich kennen.

Die Gruppe nützt den Auftritt bei der transmediale, für deren Preis sie nominiert war, um Öffentlichkeitsarbeit für die open-source-Bewegung zu machen. Eines der Feindbilder von FAT ist die den Markt dominierende Internet-Suchmaschine Google. Randy Serafin hat die Google-website mit Kätzchen versetzt, um dem beängstigend mächtigen Konzern etwas weiches, kuscheliges zu verleihen, wie er sagt.

Die "Lange Konversation"

Die Konferenz "Future Observatory" bot einen interessanten Versuch, ein neues Gesprächsformat einzuführen. Statt, wie bei Konferenzen üblich, Vorträgen gefolgt von Frage-und-Antwort-Runden, gab es den neunstündigen Gesprächsmarathon "Long Conversation", bei dem sich über zwanzig Fachleute aus Kunst, Theorie und Wissenschaft in Zweiergesprächen über die Zukunft unterhielten.

Diesem Format zugrunde lag ein Motiv des Festivals, das eine neue Definition des "Jetzt" vorsieht. Angesichts immer schnellerer Transformationsprozesse, bedingt durch technologischen Fortschritt, kann man doch auch einfach die Gegenwart verlängern und den Beginn der Zukunft damit aufschieben.

Im digital-analogen Spannungsfeld

In der Ausstellung trifft man auf Materialien und Geräte, die man nicht unbedingt mit Zukunftstechnologien in Zusammenhang setzen würde. 16-Millimeter-Film und Diaprojektoren etwa, wenn auch umgebaut und mit elektronischem Unterbau versehen.

"Um unser Verständnis des Begriffes "Zukunft" zu überdenken", so Honor Harger, "müssen wir in die Vergangenheit blicken und erforschen, Zukunftskonzepte, Zukunftstechnologien und Zukunftsmechanismen früher aussahen. Sowohl in der Ausstellung als auch im Performance-Programm wollen wir einige der Motive untersuchen, die früher im 19. und 20. Jahrhundert als innovativ und zukunftsträchtig galten. Die Kombination der historischen Blickweisen und Techniken mit jenen der Gegenwart, ergibt diese 'atemporale' Mischung."