"Säuberungsaktionen"

Terror im Namen des Staates

Von systematischen Säuberungen bis hin zu alltäglichen Repressalien kann der von Seiten des Staates organisierte Terror reichen. Das Ziel: Das Bewahren beziehungsweise die Ausdehnung seiner Herrschaft. Welche Formen des Terrors gab es unter Stalin?

Die Sowjetunion zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg: Nicht die Herrschenden werden Opfer von Attentaten, sondern die Bevölkerung wird im Namen des Staates und der Staatssicherheit terrorisiert.

Unter Josef Stalin werden in massiven "Säuberungsaktionen" nicht allein politische Gegner verfolgt und umgebracht: Die mit Abstand größte Opfergruppe des stalinistischen Staatsterrors bildet die Allgemein-Bevölkerung.

Der "Großer Terror"

Die brutale Massenverfolgung durch die sowjetische Geheimpolizei NKDV in den Jahren 1936 bis 1938 ging als "Großer Terror" in die Geschichte ein. Stets gab man dabei vor, nach strengen rechtlichen Maßstäben vorgehen - der Justiz bzw. den Behörden, so hieß es weiter, würden keinerlei Fehler unterlaufen. Allerdings mussten sie bei Verhaftungen und Todesurteilen von der Staatsführung vorgegebene Quoten zu erfüllen.

"Bei den Schauprozessen der 1930er Jahre wurden hohe Partei- und Staatsfunktionäre wegen angeblicher terroristischer bzw. staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt und verurteilt. Allein in den Jahren 1937 und 1938 wurden 1,5 bis zwei Millionen Menschen aus politischen Gründen verhaftet und etwa 800.000 davon erschossen", sagt der Historiker Barry McLoughlin, der seit Jahren die Terror-Herrschaft unter Josef Stalin erforscht.

Eliten und Allgemeinbevölkerung als Opfer

Die Massenoperationen der Geheimpolizei richteten sich gegen höchst unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Beispielsweise auch gegen jene politischen und militärischen Eliten, die Stalin zuvor zum Aufstieg verholfen hatten. Die Motive, die das Politbüro ab dem Sommer 1937 dazu bewogen, einen in der Geschichte beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen das eigene Volk in Gang zu setzen, sind unterschiedlicher Natur.

Als einen wichtigen Grund für die Repression großer Bevölkerungsgruppen erachtet Barry MyLoughlin die für die Sowjetunion ungünstige außenpolitische Lage: So waren zum einen die Verständigungsgespräche mit Nazi-Deutschland gescheitert und zum anderen schätzte man die japanische Invasion in China als bedrohlich ein. Stalin fürchtete, in einen Zwei-Fronten-Krieg zu geraten, in dem die in Russland heimischen nicht-russischen Ethnien zum Feind überlaufen könnten.

Auch österreichische Opfer

Von den Massenoperationen gegen vermeintliche Feinde mit Verbindungen ins Ausland waren Angehörige von 16 verschieden Ethnien betroffen. Historiker sprechen in diesem Zusammenhang von etwa 335.000 Verurteilungen - drei Viertel davon waren Todesurteile.

In Zusammenarbeit mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands konnte Barry McLoughlin einen Teil der österreichischen Opfer des "Großen Terrors" namentlich und biografisch erfassen. "Die Gesamtzahl der Opfer mit Österreich-Bezug", so Barry McLoughlin, "beträgt an die 2.700 Personen - derzeit ist ein Gedenkbuch über 750 davon in Arbeit, das auch online zugänglich gemacht werden soll."

Die Österreicher, die Stalins Repressionen zum Opfer fielen, lassen sich in mehrere Gruppen unterteilen. "Erstens waren das österreichische Kriegsgefangene, die nach dem Ende des 1. Weltkriegs in Russland geblieben sind. Die zweite Gruppe bilden Facharbeiter, die in Folge der Wirtschaftskrise in der Zwischenkriegszweit nach Russland migriert waren und die dritte Gruppe, das waren politische Flüchtlinge - etwa ehemalige Schutzbündler und Kommunisten", so McLoughlin.

Namentliche Erfassung nur teils erfolgreich

Über zwei weitere aus Österreich stammende Opfergruppen ist hingegen nur wenig bekannt: Das sind jene jüdischen Familien aus Österreich, die ins Baltikum geflohen sind und von dort nach Russland deportiert wurden und eine größere Gruppe von aus Österreich stammenden jüdischen Männern, die zunächst von den Nationalsozialisten nach Polen gebracht und schließlich über die Demarkationslinie nach Russland vertrieben wurden.

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 10. Februar 2010, 19:06 Uhr

Buch-Tipp
Barry McLoughlin, Kerry McDermott (Hresg.), "Stalin´s Terror. High Politics and Mass Repression in the Soviet Union", Palgrave Macmillian

Link
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes - Informationen zum biographischen Handbuch der österreichischen Opfer des Stalinismus