Selbstbezügliches Kabinettstück
Voices and Piano
Die Wirklichkeit in die Kunst zu lassen - dieses Projekt setzt Peter Ablinger mit "Voices and Piano" auf neue und radikale Weise um. Er rastert reale Stimmen und übersetzt diesen Raster in die Sprache des Klaviers.
8. April 2017, 21:58
Peter Ablinger, Nicolas Hodges und Hanna Schygulla
Diese Version der Geschichte beginnt mit einem Besuch: Der Komponist Peter Ablinger fährt zur Schauspielerin Hanna Schygulla und unterhält sich mit ihr, allerdings nicht über Filme, sondern über ihren Namen, genauer: über den Klang ihres Namens und nimmt ihre Stimme auf. Und dann tat er etwas Seltsames: Er übertrug ihre Worte, den Klang und die Tonhöhe ihrer Worte, in Noten, und zwar für Klavier, Wort für Wort, Ton für Ton. Und weil diese Stimme noch dazu vom Klang des Namens Hanna Schygulla erzählt, vom „H“ in ihrem Namen, und das Klavier plötzlich auch ein „H“ sprechen zu können scheint, entwickelt sich dieses kurze Stück zu einem selbstbezüglichen Kabinettsstück.
Brecht, Duchamps und viele andere
Wo in einem traditionellen Liederabend die Sängerin oder der Sänger stehen würde, ruht ein Lautsprecher auf einem Podest und überträgt die Originalstimme. Daneben steht der Flügel, ganz traditionell, und der Pianist begleitet, in diesem Fall Nicolas Hodges, aufgenommen beim musikprotokoll im steirischen herbst.
Einmal tönt die Stimme von Bertolt Brecht aus diesem Lautsprecher. Er muss auf Englisch vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss über sein Leben Rechenschaft ablegen. Und das Klavier begleitet so gnadenlos und unerbittlich, wie die Situation eben ist. Daraus entsteht ein knapp dreiminütiges Stück, in dem das Unmittelbare, die Direktheit der Wirkung der Stimme und das Mittelbare, das Konzeptionelle der Klavierbegleitung diese einzigartige, manchmal berührende, aber eben manchmal auch humorvolle Beziehung eingehen.
Diese Wirkung stellt sich auch ein, wenn Marcel Duchamp spricht: Er spricht natürlich über Kunst, über den Künstler, ob es das alles noch so wie früher gibt oder so geben könnte oder sollte, aber dann, zwischendurch und auch am Ende, lacht er auf, eine wunderbare Mischung aus Lausbub und Gentleman.
Prinzip der Rasterung
Immer hört man die Stimme im Original und dazu die Klavierbegleitung mit Tönen, die aus der Sprache und Sprachmelodie abgeleitet sind. Das Geheimnis heißt Rasterung, man kann eben auch Frequenzen behandeln wie Bildelemente und dann bekommt man aus der akustischen Wirklichkeit eine gerasterte akustische Wirklichkeit, also Information in bestimmten Einheiten, diese wiederum lässt sich auf eine gerasterte Wirklichkeit, nämlich die in Halbtonschritte gerasterte Wirklichkeit eines Klavieres übertragen.
Diesem Prinzip folgend ist der Zyklus "Voices and Piano" von Peter Ablinger komponiert und die Feinheit liegt daher in der vielfältigen Anwendung dieses Übertragungsmechanismus. Wenn der Komponist Peter Ablinger den Raster, mit dem er aus der Stimme die Klavierbegleitung ableitet, sehr eng einstellt, dann entsprechen die Klaviertöne ganz eng der Sprachmelodie. Wählt der Komponist aber einen weiteren Raster, zeitlich und in der Dichte, dann ergibt sich Klaviermusik, die der Stimme nur vage, aber eben doch zu folgen scheint, die fast klingt wie ein Klavierstück von Morton Feldman, aber nicht von ihm komponiert, sondern nach seiner Sprachmelodie entwickelt. Und genauso klingt das Stück "Morton Feldman" aus "Voices and Piano" von Peter Ablinger.
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 10. Februar 2010, 23:05 Uhr
CD-Tipp
"Voices & Piano", neu erschienen auf CD bei Kairos, ein Kompositionszyklus von Peter Ablinger, interpretiert von Nicolas Hodges, mit den Stimmen von unter anderem Pier Paolo Pasolini und Gertrude Stein, Mao Tse-Tung, Mutter Teresa und Lech Walesa, Bertolt Brecht, Morton Feldman, Marcel Duchamp, Hanna Schygulla.
Links
Peter Ablinger
kairos - Peter Ablinger, Voices and Piano