Vortragszyklus im Konzerthaus

Brendel kehrt zurück

Am 18. Dezember 2008 hat sich der Pianist Alfred Brendel 78-jährig von seinem Publikum in Wien verabschiedet. Allerdings nur, was Konzerte betrifft. Aus Brendel-Vorträgen ist - für diese Saison - ein ganzer Konzerthaus-Zyklus zusammengestellt worden.

Alfred Brendel über Franz Schubert

Es gibt mehrere Bücher, in denen man nicht nur über ihn, sondern auch Essays von ihm lesen kann. Jetzt hat sich der renommierte Beethoven-Spezialist Alfred Brendel (die fünf Beethoven-Konzerte existieren sogar vierfach auf digitalen Silberscheiben) ganz dem Wort verschrieben, nicht nur - wie bisher - dem gedruckten - auch dem gesprochenen.

Wenn Sie jetzt also Brendel hören wollen, sind Sie gut beraten, das Programm des Wiener Konzerthauses zu konsultieren. Dort, im Mozart-Saal, hält er seine Vorträge - zuletzt am 17. Jänner 2010 mit dem Titel "Charakter in der Musik" - und dann, zweimal im Mai, wieder im Mozart-Saal an Sonntag-Vormittagen um 11:00 Uhr, wobei der nächste, am 2. Mai den folgenden, viel versprechenden Titel haben wird: "Das umgekehrt Erhabene - über den Humor in der Musik".

Ansonsten bleibt Ihnen nur der Weg in die Buchhandlung, wobei Sie dort nicht nur Aufsätze, sondern - mit Glück - auch einen von Brendel verfassten Gedichtband finden könnten. Im Plattenhandel werden Sie allerdings die ergiebigeren Brendel-Funde machen können.

Von Edwin Fischer geprägt

Brendel, der in den ersten Jahren seiner Karriere ein virtuoses Repertoire gespielt hat, entwickelte sich später zu einem adäquaten Nachfolger seines Lehrers Edwin Fischer, den er - trotz aller Fehler technischer Art - bewundert hat, ganz besonders für dessen Begabung als Lehrer, oder besser als Leitbild.

Brendel hat mehrere Aufsätze über Fischer publiziert, deren Aussage man zu folgender - von ihm formulierter - Sentenz destillieren kann: "Fischer hat zwei Generationen junger Pianisten vom Klavier weg zu sich selbst geführt." So hat sich auch Brendel von der Virtuosenschiene wegentwickelt.

Souveränität auf vielen Ebenen

Brendel-Verächter könnten sagen, er hat mit einer Karriere à la Argerich begonnen und entwickelte sich zur einer Symbolfigur für deutsche Biederkeit à la Backhaus. Brendel-Bewunderer würden allerdings formulieren: Er hat die technische Souveränität eines Virtuosen mit den Jahren auch in einem typischen, sagen wir am besten "Edwin-Fischer-Repertoire" unter Beweis gestellt. Zumindest, was Beethoven, Brahms, Mozart oder Schubert betrifft.

Für den Haydn- und Liszt-Interpreten Brendel findet sich in Fischers Repertoire keine Vorbildfunktion. Auch Chopin hat Fischer kaum gespielt - meist nur privat -, Brendel hingegen sehr wohl, ja sogar Strawinsky, nämlich die für Rubinstein komponierten, von diesem aber zeitlebens gemiedenen Tänze aus Strawinskys "Petruschka"!

Abkömmling eines Vielvölkerstaates

Auf die Welt gekommen ist Alfred Brendel im mährischen Wiesenberg, also in der böhmischen Provinz der österreichisch-ungarischen Monarchie mehr als ein Jahrzehnt nach deren Untergang. Die Gene seiner Vorfahren vereinigten wohl die meisten jener Elemente, die das typisch alt-österreichische ausmachen: Deutsches, Böhmisches, Italienisches - und als posthumen Abkömmling jenes Vielvölkerstaates prägten ihn auch noch die folgenden Ortswechsel - zunächst mit, später ohne Eltern - über Zagreb und Graz bis nach Wien, wo er an der Musikakademie sein Klavierstudium, das er bereits im sechsten Lebensjahr in Zagreb (der Vater führte dort ein Kino) begonnen hatte, mit einer Staatsprüfung abschloss.

Im Jahr 1949, also mit 18 Jahren, stellte er sich den Herausforderungen des Busoni-Wettbewerbes, dessen 4. Preis ihm einen guten Karrierestart sicherte. Die internationale Karriere begann und enthielt auch zahlreiche Termine in den Plattenstudios der Firmen Vox, Turnabout und Vanguard. Diese frühen Aufnahmen, bevor er sich mit einem Exklusivvertrag an das Philips-Label gebunden hat, sind im Vorjahr in einer 35-CD-Box der Marke Brillant erschienen und enthalten Vieles, das sich später in seinem Repertoire nicht mehr findet, aber auch das komplette Soloklavierwerk Beethovens, das Brendel als erster Pianist der Schallplattengeschichte enzyklopädisch (für Vox) eingespielt hat.

Beethoven in 77 Recitals
Die 32 Sonaten, die Arthur Schnabel in den vierziger Jahren in der New Yorker Carnegie Hall zyklisch gespielt hatte, präsentierte Alfred Brendel nun viele Jahrzehnte später in der Saison 1982/83 in elf Städten Europas und Amerikas verteilt auf 77 Recitals. Und als Brendel dann seit den 1970er-Jahren regelmäßig für Philips aufnahm, spielte er für das neue Exklusivlabel ein zweites Mal und dann 1996 - wegen der Digitaltechnik - alle Beethoven Sonaten ein drittes Mal im Plattenstudio.

Unnötig zu betonen, dass der Mozart-Interpret Brendel es sich nicht nehmen ließ, auch alle Mozart Klavierkonzerte (mit der Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner) bei Philips aufzunehmen. Nur bei Schubert, der ihm besonders am Herzen liegt, hat er dem enzyklopädischen Gedankten abgeschworen. Da ließ er die Jugendwerke beiseite und nahm alle Soloklavierwerke, die Schubert zwischen 1822 und seinem Tod im Jahr 1828 komponiert hatte, auf. Und dafür nennt er auch überzeugende Gründe.

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