14 Blocks und eine weiße Linie

The Great Brooklyn Bike Wars

Für die sehr gegensätzlichen Nachbarn von Nordbrooklyn manifestieren sich die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kämpfe in New York in einem Fahrradstreifen im Stadtteil Williamsburg: Es geht um Verkehrssicherheit und den politischen Einfluss.

"... It's tense in the funniest way, it's New York City ..."

Im New Yorker Stadtteil Brooklyn ist ein Streit um einen Fahrradweg ausgebrochen, der Stadtbewohner, Politik und Medien gleichermaßen bewegt. Die jüdisch-orthodoxe Community der Chassiden, die streng abgeschottet im Nordwesten von Brooklyn lebt, fühlt sich durch die jungen und oft freizügigen Radfahrer des angrenzenden Trendbezirkes Williamsburg gestört.

Im Dezember erwirkten die Chassiden die Entfernung der Fahrradmarkierung auf einer Hauptverkehrsader, die direkt durch ihre Gemeinde führt. Fahrradaktivisten haben daraufhin in einer illegalen, überraschenden Aktion wieder Farbe auf den Asphalt der umkämpften Bedford Avenue aufgetragen.

Malaktion mit Folgen

"Wir haben an einem Freitagnachmittag davon erfahren. Die Stadt New York hat tatsächlich den Fahrradweg entfernen lassen", erzählt der junge Mann, der lieber anonym bleiben will. "Einige Telefonate später war klar: Der muss da wieder hin! Also haben wir Farbe gekauft und uns des Nächtens an die Arbeit gemacht. Alles ging sehr schnell. Gut zehn Blocks haben wir geschafft, dann war die Polizei zur Stelle."

Der junge Mann bezeichnet sich selbst als Fahrradaktivist. Er kämpfe für das Gute, sagt er. Die Fahrradstreifen schützen Leben. Knapp 100 Radfahrer sterben pro Jahr in den Straßen New Yorks. Deshalb haben er und seine Freunde ein Zeichen gesetzt. Jetzt erwarten zwei von ihnen einen Prozess. Die Anklage: Vandalismus. Der Kläger: die Stadt New York.

Warum hat das zuständige "Department of Transportation" den Streifen überhaupt entfernen lassen? Baruch Herzfeld glaubt die Antwort zu kennen: "Offiziell ist Bürgermeister Bloomberg für mehr Fahrradwege. Wenn es allerdings um seine Wiederwahl geht, dann sind ihm bestimmte Wählerkreise näher als die Bedürfnisse der Stadt. Deshalb hat er auf Wunsch dieser Kreise Mitte Dezember die Bike Lanes entfernen lassen. Als Dankeschön. Er sollte sich schämen und zurücktreten."

Wer ist schuld?

Baruch Herzfeld sieht sich als wortgewaltigen Vermittler in dem Konflikt. Der wahre Schuldige sei der Bürgermeister. Der habe sich mit der Entfernung des umstrittenen Fahrradweges die Stimme der Satmar - der ultraorthodoxen, chassidischen Juden- bei der letzten Bürgermeisterwahl im November gesichert. Von den Chassiden nimmt man an, dass sie "mit einer Stimme" wählen, wie es Herzfeld ausdrückt. Das habe politisches Gewicht.

Herzfeld selbst stammt aus einer alten jüdisch-orthdoxen Familie und betreibt einige Fahrradprojekte in Brooklyn. Er will junge Satmar zum Radfahren motivieren; sehr zum Missfallen einiger Community-Führer.

Statistiken und Studien

Es war die am Ostjudentum orientierte Gemeinde der Satmar-Chassiden, die die Entfernung der Fahrradwege erwirkte. Die Route sei ein Sicherheitsrisiko, wie deren Sprecher Isaac Abraham anlässlich eines Debattierabends in einem Trendlokal in Williamsburg argumentierte: "Wir haben das genau beobachtet, 90 Prozent der Fahrradfahrer brechen sämtliche Verkehrsregeln. Sie fahren, wo sie wollen. Sie gefährden Kinder. Meine eigene Frau wurde umgefahren!"

Medien, Blogger und Fahrradaktivsten halten das Sicherheitsargument allerdings für fadenscheinig. Caroline Samponaro von der NGO "Transportation Alternatives" hält in der hitzigen Diskussion in Pete's Candy Store dagegen: "Fahrradwege erhöhen die Verkehrssicherheit. Das zeigen alle Studien. Es ist wichtig, dass es ein durchgehendes Netz gibt. Eine bestimmte Route zu entfernen, gefährdet das gesamte System. Die Demontage der Bike Lane auf der Bedford Avenue ist besonders problematisch. Sie ist die Hauptverkehrsader von Südbrooklyn und führt über die Williamsburg Bridge direkt rüber nach Manhattan."

Eine Frage der Moral?

Für Aufregung sorgte ein Statement eines Satmar-Rabbis in der Boulevardzeitung "New York Post", wonach die aufreizend gekleideten, jungen Frauen, die vom angrenzenden Trendbezirk heran radeln, die Moral der chassidischen Männer untergraben würden.

Die kreativen Jungen aus Williamsburg reagierten mit Spaßaktionen und Guerillataktik, "Naked Bike Rides" auf der umstrittenen Bedford Avenue und der illegalen Wiederanbringung des entfernten Fahrradweges. Die Lokalpresse titelt mit Aufmachern wie "The Great Brooklyn Bike Wars" oder "Hipsters vs Hassids". Es scheint, als hätte jeder Stadtbewohner etwas zum Thema zu sagen. Nur die zuständigen Behörden samt Bürgermeister Bloomberg verweigern jeden Kommentar.

Noch ist keine Lösung in Sicht. Die Aktivisten erwarten ihren Prozess, die Fahrradlinie auf den 14 Blocks der Bedford Avenue bleibt vorerst entfernt. Weitere Aktionen diverser Fahrradvereinigungen sind geplant. Die Fronten scheinen verhärtet.

Große Gegensätze, typische Geschichte

Für Außenstehende muss dieser Konflikt anmuten wie ein episches Kinodrama mit Witz. Eine Geschichte mit viel Herz und nackter Haut, Hass und Humor, Bigotterie und Freizügigkeit, Schläfenlocken und Fahrradhelmen. Sie erinnert ob ihrer Tonalität nicht selten an die berühmte New York Sitcom "Seinfeld" von Larry David.

James Hook, der Veranstalter des Debattierabends meint dazu: "Die Situation scheint verfahren, aber sie ist typisch für New York. Es geht ja nicht nur um einen Fahrradweg, sondern um die Bedingungen des Zusammenlebens großer Gegensätze. Und diese kulturelle Reibung findest du nur in New York. Das ist die große Geschichte hinter diesem Konflikt."

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Hör-Tipp
Leporello, Montag, 15. Februar 2010, 07:52 Uhr