Je kleiner die Kluft zwischen Arm und Reich, desto besser

Gleichheit ist Glück

Der Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und die Anthropologin und Epidemiologin Kate Pickett haben die europäischen Staaten, Japan und die USA auf den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und sozialen Problemen untersucht.

Menschen brauchen Anreize, um Leistung zu erbringen. Und das ist nicht nur für den einzelnen gut, sondern für die gesamte Volkswirtschaft. So die herrschende Ansicht. Ein Anreiz könnte sein, dass es andere gibt, denen es besser geht. Denn dann bemüht man sich, strengt sich an, um es auch besser zu haben. Die berühmt-berüchtigten Bonuszahlungen, in den letzten Jahren ein heißes Thema, wurden und werden immer mit der Anreiz-Theorie argumentiert.

Richard Wilkinson und Kate Pickett wischen die Anreiz-Theorie mit einer kleinen Handbewegung vom Tisch. Denn sie haben reiche, westliche Demokratien auf ihre Einkommensverteilung untersucht. Jene Länder, in denen die Verteilung besonders ungleich ist, müssten laut der Anreiz-Theorie besser abschneiden. Das langjährige Beispiel dafür waren immer die USA. Kate Pickett und Richard Wilkinson zeigen aber auf Basis von Daten der OECD und der Weltgesundheitsorganisation, dass gleichere Gesellschaften besser abschneiden - zumindest in sozialer und gesundheitlicher Hinsicht.

Schichtspezifische Differenzierungen

Niveau des Vertrauens, psychische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogensucht, Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit, Fettleibigkeit, schulische Leistungen der Kinder, Teenager-Schwangerschaften, Selbstmorde, Zahl der Gefängnisstrafen und soziale Mobilität - anhand dieser Kategorien einerseits und der Einkommensverteilung andererseits stellten Wilkinson und Pickett fest, dass ungleichere Gesellschaften wie zum Beispiel die USA schlechter abschneiden.

Das Ausmaß materieller Ungleichheit in einer Gesellschaft kann man sich als eine Art Tragwerk oder Gerüst vorstellen, als eine Struktur, an die sich kulturelle und schichtspezifische Differenzierungen anlagern. Schließlich werden die strukturellen Einkommensunterschiede von Feindifferenzierungen überlagert, wie Kleidung, Geschmack, Bildung, Selbstbewusstsein und all die anderen Kennzeichen der Schichtzugehörigkeit.

Wichtige Statusunterschiede in den USA

Das Problem seien nicht die Auswirkungen absoluter Armut wie mangelhafte Ernährung oder schlechte Wohnbedingungen. Das Problem seien die sozialen Statusdifferenzen. Je ungleicher eine Gesellschaft, desto wichtiger die Statusdifferenzen. In den USA, wo die Einkommensverteilung kaum ungleicher sein könnte, gibt es nicht mehr Gewalt, weil die Armen die Reichen attackieren, sondern weil die Menschen sensibler auf sogenannte Gewaltreize - auf Demütigung und Erniedrigung - sind. Die Gewalt richtet sich in der Regel gegen Schwächere. Der soziale Druck verlagert sich nach unten.

Die Vermögenden sichern ihren sozialen Status, indem sie den Schwächeren ihre Überlegenheit zeigen. Diejenigen, die auf diese Weise einen Statusverlust hinnehmen müssen, versuchen sich dann an denen schadlos zu halten, die noch tiefer im Elend stecken.

Das Ergebnis der langjährigen Forschungsarbeit von Richard Wilkinson und Kate Pickett ist frappierend: Gesellschaften, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner ist, geht es besser, denn der soziale Stress ist geringer. Nicht nur für die Unterschicht, auch für die Mittel- und die Oberschicht.

Ein erster Schritt

Schade, dass die Kosten der Ungleichheit nicht berechnet wurden. Denn es wäre spannend zu wissen, was es einen Staat kostet, mehr psychische und körperliche Erkrankungen, mehr Gewalttaten zu haben, schlechtere Schulergebnisse und mehr Teenagerschwangerschaften. Aber Kate Picketts und Richard Wilkinsons Buch mit dem nicht ganz glücklichen deutschen Titel "Gleichheit ist Glück" ist ein erster großer Schritt in die richtige Richtung.

Es ist ein leicht zu lesendes Werk, das minutiös mit Daten und einfühlsam mit dem Leser umgeht, der weder unter- noch überfordert wird. Die britische Tageszeitung "The Guardian" bezeichnet das Buch von Pickett und Wilkinson als "das vielleicht wichtigste des Jahres" - dem kann man sich nur anschließen.

Service

Richard Wilkinson, Kate Pickett, "Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind", aus dem Englischen übersetzt von Egdar Peinelt und Klaus Binder, Tolkemitt Verlag bei Zweitausend

8. Österreichische Armutskonferenz "Geld.Macht.Glücklich.", 23. und 24. Februar 2010, Salzburg, Richard Wilkinson hält die Eröffnungsrede

Tolkemitt - Gleichheit ist Glück