Die Debatte um das Bettelverbot
Wer fürchtet sich vor der Bettelmafia?
Seit einigen Jahren kommen immer mehr Bettler aus Osteuropa nach Österreich und erhitzen die Gemüter. Rechte Parteien fordern daher, dass Betteln generell verboten wird. Angeblich ist hier eine Mafia am Werk. Beweisen konnte das allerdings bislang niemand.
8. April 2017, 21:58
Fevzije Bahar über die Angst vor öffentlicher Armut
Sie sitzen oder knien am Straßenrand am Asphalt und bitten um Almosen. Vielen von ihnen fehlt ein Bein oder ein Arm. Seit einigen Jahren sieht man in den heimischen Einkaufsstraßen immer mehr Bettler und Bettlerinnen aus Osteuropa. Und die erhitzen die Gemüter.
In der Steiermark, in der heuer Landtagswahlen stattfinden, wird gerade heftig darüber diskutiert, ob man diesen Missstand nicht abschaffen könnte, indem man das Betteln ganz einfach verbietet. Und auch in Wien - wo heuer ebenfalls gewählt wird - plakatiert die FPÖ schon seit Monaten die Forderung nach einem allgemeinen Bettelverbot. Denn angeblich sind es organisierte Banden von Menschenhändlern aus Osteuropa, die diese Menschen ausbeuten und zum Betteln zwingen.
Auf den Spuren der Mafia
Auch die Filmemacherin Ulli Gladik hat sich auf die Suche nach der Bettelmafia gemacht. Denn ursprünglich wollte sie gerne einen Dokumentarfilm über die Opfer dieser Banden machen. "Ich habe sehr lange danach gesucht, aber ich habe keine Hinweise gefunden. Und es ist schon auffällig, dass jene Menschen, die sich mit Bettlern und Bettlerinnen näher beschäftigt haben, nichts dergleichen gefunden haben", sagt sie. So machte Ulli Gladik stattdessen ein Portrait über eine bulgarische Bettlerin namens Natasha. Sie begleitete ihre Protagonistin beim Betteln in Österreich und besuchte sie mehrfach in Bulgarien.
Als Natasha 18 Jahre alt war, musste man ihr auf der einen Seite einen Fuß, auf der anderen Seite das ganze Bein amputieren. Als Folge einer Blutvergiftung. Von den 100 Euro Behindertenrente, die sie in Bulgarien bekommt, kann sie nicht leben. Sie ist Alleinerzieherin, und praktisch alle ihre Familienmitglieder sind arbeitslos. Daher fährt Natasha immer wieder nach Graz um zu betteln. Meist gemeinsam mit Verwandten oder Nachbarn. Von organisierten Bettelmafiabanden weiß Natasha nichts.
Bereit, auf allen Vieren zu kommen
Auch die Wiener Polizei weiß relativ wenig darüber: Eine große Organisation, die dahinter steckt, sei bislang noch nicht ausgeforscht worden, erklärt man. Natürlich gebe es immer wieder Vermutungen und Ermittlungen. Aber für gewöhnlich stelle sich heraus, dass diese Menschen entweder alleine oder mit Verwandten hier sind. Einige hätten überhaupt einen fixen Wohnsitz in Wien - oder leben hier als Obdachlose.
Viele der Bettler und Bettlerinnen kommen aus der Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Und die meisten von ihnen gehören der Minderheit der Roma an. Das liege an der miserablen sozialen Lage der Roma, erklärt Fevzije Bahar, Sprecherin der internationalen Romani Union: "Die sind bereit, auf allen Vieren nach Europa zu kommen, weil es für sie überall besser ist als in diesen ex-kommunistischen Ländern."
Die Verlierer der Wende
Laut Schätzungen der EU-Kommission leben in Europa zwischen zehn und zwölf Millionen Roma, meist am Rande der Gesellschaft, in Baracken oder Zeltstädten. Romakinder werden oft automatisch in Sonderschulen abgeschoben - falls sie überhaupt in die Schule gehen. Die Arbeitslosenrate beträgt in vielen Roma-Ghettos bis zu hundert Prozent. Die Roma gehören zu den großen Verlierern der Wende in Osteuropa. Zu Zeiten des Kommunismus gab es Arbeit für alle. Nach der Wende waren sie die ersten, die entlassen wurden, als die Industrie den Bach hinunter ging.
Rechtspopulistische Gruppierungen, zum Beispiel in Ungarn oder der Slowakei, hetzen heute gegen diese Minderheit, gewalttätige Ausschreitungen gegen Roma haben vor allem im vergangenen Jahr stark zugenommen. Auch hierzulande hat die Bevölkerung wenig Freude mit den Roma-Bettlern. Immer wieder bekommt die Polizei Beschwerdeanrufe von Geschäftsleuten oder Passanten, wenn viele Bettler in der Einkaufsstraße sitzen: "Das stört mich, bitte stellt das ab."
Demut gestattet, Sichtkontakt verboten
Bettelverordnungen sind in Österreich Ländersache. In Tirol und Salzburg ist Betteln allgemein verboten. In Graz und Wien ist sogenanntes "demütiges Betteln" grundsätzlich erlaubt. Verbote gibt es aber für Sonderformen des Bettelns. Zum Beispiel für aggressives oder aufdringliches Betteln. In Wien ist außerdem seit 2008 das Betteln mit Kindern verboten. Als Strafe drohen bis zu 700 Euro, beziehungsweise gegebenenfalls eine Ersatzfreiheitsstrafe. Viele der Bettler und Bettlerinnen mussten daher schon ins Gefängnis.
Verboten ist auch das sogenannte "organisierte Betteln". Damit sind aber nicht Banden gemeint, die Menschen zum Betteln zwingen: "Organisiert" heißt in diesem Fall, dass sich mindestens drei Personen zum Betteln verabreden. Für mafiaartige Ausbeutungsstrukturen gibt es stattdessen eigene Gesetze, die im Strafrecht geregelt sind: nämlich gegen Menschenhandel und Nötigung.
"Es ist nicht einzusehen, weshalb eine an sich legale Handlung dadurch illegal wird, indem es drei Menschen in Verabredung tun", kritisiert Ferdinand Koller von der Wiener Bettellobby. Diese Gruppe hat sich im Zuge der Armutskonferenz 2008 gegründet und beschäftigt sich mit der Situation von ausländischen Bettlern und Bettlerinnen in Österreich. Jede Form der sozialen Interaktion könne als "organisiert" ausgelegt werden, zum Beispiel Blickkontakt.
Armut aus dem Blickfeld schaffen
Natürlich könne man nicht hundertprozentig ausschließen, dass es hin und wieder Fälle von Ausbeutung gebe, sagt Fevzije Bahar von der Internationalen Romani Union. Allerdings werde dieses Gerücht der allgegenwärtigen Bettelmafia ihrer Meinung nach gezielt von gewissen Politikern und Boulevardblättern verbreitet, um die Mehrheitsgesellschaft zu beruhigen, glaubt sie. Denn die Leute sollen möglichst nicht daran erinnert werden, dass es Armut gibt im reichen Europa.
Doch anstatt die Armen aus dem Blickfeld der Wähler und Wählerinnen zu schaffen, solle man lieber die Armut in Osteuropa bekämpfen - hier sei die EU gefragt, so Bahar.
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Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 11. März 2010, 18:25 Uhr
Links
Bettellobby Wien
Natasha
Wikipedia - International Romani Union