Alfred Böhm zum 90. Geburtstag

Der Eine von den Dreien ist der andere Böhm

Die Wendung "der Böhm, aber der Fredi", selbst in Kollegenkreisen, deutet auf eine Verwicklung hin: Der große Alfred Böhm hatte noch einen andern großen Böhm, nämlich den - nicht verwandten - Max(i) an seiner Seite. Und trotzdem war er unverwechselbar.

Er hatte eine Vorliebe für komische Geschichten, ganz besonders, wenn sie aus der Abteilung "Theateranekdoten" kamen und daher mit bestimmten Damen oder Herren des Bühnengewerbes verknüpft waren (er hatte nämlich auch eine Vorliebe für die subtile Kunst der sogenannten "Garderobenbosheit".)

Und ganz besonders (unter den eh schon Besonderen) liebte er die kleine Begebenheit, die ihm selbst, auf der Höhe seiner beinahe unheimlichen und jedenfalls so gut wie flächendeckenden Fernseh-Popularität zustieß und die, die Begebenheit, blitzlichtartig die Absurdität des Phänomens "Prominenz" erhellte.

Alle Komödienspieler und Komiker

Er erzählte die kleine Geschichte immer wieder, kostete sie aus mit genießerischen Vergnügen und genehmigte sich dann, sich vom eigenen Kichern mühsam erholt habend, als Tüpferl auf dem I, einen schmunzelsatten Blick ins verdutzte Antlitz seines jeweiligen Gegenübers. (Verdutzte Antlitze hatte er, grundsätzlich, auch sehr gern.)

Und Alfred Böhm, der jüngste der drei Böhm-Brüder, die alle drei am Theater Karriere machten - und auch sie, Franz Böheim und Carlo Böhm, als Komödienspieler und Komiker, wenn auch nicht mit annähernd so breitem Publikumserfolg wie der kleine Fredi - Alfred Böhm wurde nicht müde, zu erzählen, wie er also vom Stephansplatz in Wien hinunter Richtung Rotenturmstraße gegangen war, an einem Spätnachmittag, seine damals hauptsächliche Wirkungsstätte, die "Kammerspiele" des Theaters in der Josefstadt ansteuernd.

Erfolge, zuweilen sogar Triumphe

(Alfred Böhm hatte dem Josefstadt-Ensemble seit 1958 schon angehört, seit er, dem Weltkriegsjahrgang 1920 zugehörig, Kriegsdienst und Gefangenschaft überlebt, spät noch eine Schauspielausbildung absolviert und auch die ersten Hungerleider-Engagements in Innsbruck und in Linz überstanden hatte.

1980 schied er allerdings, anlässlich eines Direktionswechsels, von dem Haus, in dem er mit Nestroy, Raimund und, vor allem, Ödön von Horváth große Erfolge, zuweilen gar Triumphe gefeiert hatte und - trotz seiner messerscharfen Horváth-Figuren - in die ein wenig seltsame Kategorie eines "Publikumslieblings" aufgestiegen war. Er machte einfach Theaterpause, acht Jahre lang.

Er konnte sich das längst leisten, damals, sowohl materiell als auch von Image her: Alfred Böhm, der in den 1950er Jahren als aufrechter junger Proletenspross in der dazumal enorm populären "Radiofamilie" seine Karriere als "öffentliches Familienmitglied vom Dienst" begonnen hatte, war gleich danach in die erste aller hiesigen Fernsehfamilien gewechselt und war dort als teddybärartiger "Schwiegersohn" vom Publikum adoptiert worden, verdingte sich in komischen Reklame-Episoden als Würstelstandstammgast - mit Freund Otto Schenk als Würstelmann -, als "Untermieter", wurde zum tolpatschigen Ehemann in "Trautes Heim", danach zur sehr austriakischen Idealfigur des kinderlieben Frührentners als "Leihopa" und absolvierte schließlich gezählte tausend Sendungen als Ober Alfred im Seniorenclub".

Was das Theater betrifft, so begann sich Alfred Böhm erst 1988, als Freund Schenk Direktor des Theaters in der Josefstadt wurde, dort wieder wohlzufühlen und wurde, Erzkomödiant, der er war, zum Publikumsmagneten der Josefstädter Innenstadt-Dependance, der "Kammerspiele". Dort hat er bis ein Jahr vor seinem Tod, 1995, auch inszeniert.)

Tschechische Ahnen

Er ging also an jenem Spätnachmittag vom Stephansplatz die Rotenturmstraße hinunter, um zwei Häuserblöcke weiter nach rechts, in die kurze Sackgasse zu den Kammerspielen abzubiegen.

(Es dürfte der Frühling 1988, das Jahr seiner Rückkehr als Gast an die Josefstadt, gewesen sein: Diese Rückkehr wurde damals in den Zeitungen in relativ großer Aufmachung freudig vermeldet, zumal nicht allzu lang vorher, zu Weihnachten 1982, der große Komiker-Kollege und Star auch der Kammerspiele, Max Böhm, gestorben war. - Alfred und Max Böhm waren gut befreundet, waren oft, zu Gaudium des Publikums, mitsammen auf der Bühne gestanden, waren aber miteinander weder verwandt noch verschwägert. Nur der Name "Böhm" rührte bei beiden von tschechischen Ahnen in deutschböhmischen Landen her, wie auch die beiden eigene Kenntnis der tschechischen Sprache.)

In die Kammerspiele

Kurz vorm Eck vor den "Kammerspielen", so pflegte Alfred Böhm die Spannung seiner Zuhörer ins Namenslose zu steigern, fixierte ihn plötzlich eine Passantin, schon etwas älteren Jahrgangs, sichtlich ihrerseits für einen Besuch der Kammerspiele-Vorstellung zurechtgemacht, gerade noch auf dem Sprung ins (damals noch existierende) Café Kammerspiele, nun aber entschlossen dem soeben dank Prominenz agnoszierten Antlitz des Publikumslieblings zugewandt, ging, ihrem Zeigefinger nach, direkt auf ihn zu und sprach, die Anklage nur durch leichte wienerische Färbung mildernd: "Also, Herr Böhm, eins muss ich Ihnen schon sagen: Seit dass der Maxi Böhm und Sie tot san, heißt's in die Kammerspiele gar nix mehr!"

Sprach's, drehte sich um und ging sich ins Café vis à vis stärken.

Selten sind mindestens drei Gedanken mitten in der Luft so grotesk zusammengestoßen wie in diesem Augenblick - und selten hat es wohl auch einen so entzückten Betroffenen gegeben wie Alfred Böhm. Er ist dann, vor fünfzehn Jahren, leider trotzdem gestorben.

Seitdem müssen ausschließlich die Lebendigen dazuschauen, dass es doch noch was heißt "in die Kammerspiele".