Illusionen des Alters

Die Demütigung

"Er hatte seinen Zauber verloren", lautet der erste Satz in Philip Roth' neuem Roman. "Er" ist ein alternder Schauspieler, dessen Karriere zu Ende geht. Der Roman ist ein straighter, kristallklarer Text über illusorische Altmännerträume.

Was hat Simon Axler nicht alles gespielt in seiner langen Karriere, den Hamlet und den Ödipus, den Onkel Wanja und den Willy Loman im "Tod eines Handlungsreisenden". Der 65-jährige Theater-Charismatiker, 1,93 Meter groß, gehört zu den umjubelten Bühnenstars der USA, Kenner nennen ihn in einem Atemzug mit John Gielgud und Laurence Olivier.

Und dann das: Von einem Tag auf den anderen traut sich Simon Axler nicht mehr auf die Bühne. Er kann nicht mehr spielen. Er versagt. Philip Roth porträtiert einen vom Leben Verwöhnten in einer existenziellen Krise: dereinst Götterliebling, jetzt menschliches Wrack.

"Zu allererst fiel mir der Anfangssatz des Buches ein: 'Er hatte seinen Zauber verloren'", erinnert sich Philip Roth im Gespräch. "Ich wollte einen Roman über einen Schauspieler schreiben, der plötzlich nicht mehr spielen konnte. Ich hatte von einem solchen Schauspieler gehört. Das war der Ausgangspunkt des Romans: Ein Bühnenstar, der sich nicht mehr auf die Bühne traut. Diese Idee schien mir äußerst vielversprechend."

Nie wieder Bühne

Er hatte seinen Zauber verloren. Der Impuls war erloschen. Auf der Bühne hatte er nie versagt - alles, was er getan hatte, war stark und erfolgreich gewesen, doch dann war das Schreckliche geschehen: Er konnte nicht mehr spielen. Auf die Bühne zu treten wurde zur Qual. An die Stelle der Gewissheit, dass er wunderbar sein würde, trat das Wissen, dass er versagen würde.

Simon Axler, von Selbstmordgedanken gepeinigt, lässt sich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Seine Frau macht Schluss mit ihm und flieht nach Kalifornien. Nur mühsam findet Philip Roth' trauriger Protagonist wieder zurück in seinen Alltag, mit der bitteren Einsicht allerdings, dass er nie wieder auf einer Bühne stehen wird. Und damit endet das erste der drei Kapitel, man könnte auch sagen: der erste der drei Akte, aus denen dieses Buch besteht.

Die Sonne seines Herbstes

Der zweite Akt beginnt mit einer überraschenden Wendung: Einige Monate nach Simon Axlers Zusammenbruch tritt eine Frau namens Pegeen in sein Leben. Sie ist die Tochter eines befreundeten Schauspieler-Ehepaars, Anfang vierzig, selbstbewusst, als College-Dozentin erfolgreich - und lesbisch. Axler erinnert sich, Pegeen als Baby bisweilen auf dem Schoß gehalten zu haben. Und jetzt besucht sie ihn in seinem Haus ein paar Autostunden von New York entfernt. Ihre Lebensgefährtin habe sie verlassen, erklärt Pegeen, habe sich zu einem Mann umoperieren lassen. Und jetzt sei sie völlig am Ende.

Axler führte sie zum Sofa im Wohnzimmer, wo sie (...) die Jeans auszog und zum ersten Mal seit dem College mit einem Mann schlief. Und er schlief zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Lesbe.

Klingt ziemlich konstruiert, was sich Philip Roth da hat einfallen lassen: Alternder Bühnen-Beau bindet Lesbe an sich und zeichnet für ihre sexuelle Neu-Orientierung verantwortlich. Wundersamerweise kauft man Roth diesen reichlich abstrusen Plot dennoch ab. Der deprimierte Simon Axler jedenfalls glaubt mit Pegeen so etwas wie die Sonne seines Lebensherbstes gefunden zu haben. Vielleicht gelingt es ihm, so hofft er, mit der um vieles jüngeren Frau glücklich zu werden. Altes Herz wird wieder jung...

Den Köder geschluckt

Mit schnörkelloser Lakonie führt Philip Roth seinen Protagonisten an den Rand des Abgrunds. Denn natürlich sind Axlers Hoffnungen auf Sand gebaut. Als er zusammen mit seiner Geliebten eine Frau verführt und den beiden in einer gewagten Szene als alternder Satyr bei ihren Dildo-Spielen zuschaut, schaufelt er sich - metaphorisch gesprochen - sein eigenes Grab. Denn Pegeens heterosexuelle Periode wird nur ein Zwischenspiel bleiben, wie sich bald zeigt. Die 40-Jährige macht Schluss mit dem ruinierten, gedemütigten, zerstörten alten Mann, sie lässt ihn allein mit seinen Rückenschmerzen und seinem 870er-Remington-Repetiergewehr.

Auf dem Lebensweg eines Mannes liegen zahlreiche Fallen, und die Begegnung mit Pegeen war die letzte gewesen. Axler war begierig hineingetappt, er hatte den Köder geschluckt, wie der dümmste Gefangene der Welt. Es hatte nicht anders enden können, und doch war er der letzte, der dies herausfand. Unwahrscheinlich? Es war vorhersehbar gewesen.

Traurig und ernüchternd

Auch er kenne künstlerische Versagensängste, erklärt Philip Roth. Auch ihm sei es wie seinem Helden immer wieder passiert, dass sich der "Zauber", der zur künstlerischen Produktion dazugehöre, für eine Zeitlang in Luft aufgelöst habe.

"Mir passiert das jedes Mal zwischen zwei Büchern", sagt Roth. "Ich denke mir dann stets: O mein Gott, was soll ich jetzt schreiben? Ich habe keine Ideen mehr, und dann überkommt mich so etwas wie Panik. Das Faszinierende ist: Mir fällt dann trotzdem immer wieder etwas ein. Keine Ahnung, wie es funktioniert. Wenn ich das wüsste, würde ich den Prozess einfach wiederholen."

130 Seiten umfasst Philip Roth' neuer, schlanker Roman. Ein trauriger, ernüchternder Roman ist das über illusorische Altmännerträume und die Zumutungen der vorletzten und letzten Lebensphase. Ein straighter, kristallklarer Text, der seine Leserinnen und Leser bedrückt und ungetröstet, aber um ein Stück hellsichtiger zurücklässt.

Service

Philip Roth, "Die Demütigung", aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren, Hanser-Verlag

Hanser Literaturverlag - Philip Roth