Authentische Dokumentation

Uni brennt

Der Band "Uni brennt" spiegelt die Vielfältigkeit der Studierenden-Proteste des Winters 2009/2010. Das Buch versammelt wissenschaftliche Betrachtungen neben launigen Essays von Studierenden und den Reden prominenter Audimax-Besucher.

Gut möglich, dass die Studierendenproteste des Winters 2009/2010 irgendwann ihren Weg in ein Handbuch für Kampagnenarbeit finden - als besonders gelungenes Beispiel. Auch so manchem Werbeprofi dürfte die Freudentränen in die Augen getrieben haben, was da im November letzten Jahres innerhalb weniger Tage passierte: Nach der Besetzung des Audimax der Universität Wien entwerfen die Studierenden über Nacht Slogan und Logo für ihren Protest - das Label "Uni brennt". Flugs werden Webseite und Livestream eingerichtet, über die Daheimgebliebene permanent verfolgen können, was im besetzten Hörsaal vor sich geht. Es wird getwittert, was das Zeug hält, soziale Plattformen werden überschwemmt, Zeitungen gedruckt.

Die "Audimaxisten" entreißen den etablierten Medien die Deutungsmacht über ihren Protest - indem sie sich die Medien kurzerhand selbst machen.

Per Internet in der Öffentlichkeit

Mit den medialen Strategien der Protestbewegung befassen sich auch mehrere Texte im Sammelband "Uni brennt": Den Studierenden ist bewusst, dass Breite und Wirkung ihres Handelns nicht zuletzt davon abhängen, welches Bild die Medien davon zeigen. Dass dabei auch die hedonistischen Momente einer Hörsaalbesetzung für die Öffentlichkeit sichtbar werden - also Partys und ausgelassenes Feiern - und nicht nur rauchende Köpfe und ernste Gesichter bei stundenlangen Diskussionen - das ist eingeplant. Immerhin gilt es, die Verhältnisse an der Alma Mater zum Tanzen zu bringen. In ihrem gemeinsamen Aufsatz schreiben Jana Herwig, Max Kossatz und Viola Mark:

Es ist wenig wahrscheinlich, dass im Audimax das Feiern nach dem Tagesprotest erfunden wurde - nur konnte dem Entspannungsbier der 1968er nur beiwohnen, wer selbst vor Ort war, virtuelle Teilhabe ausgeschlossen. Heutige Journalistinnen und Journalisten hingegen müssen sich notwendigerweise nicht mehr an den Ort einer Besetzung begeben. Dank Lifecasting, das heißt dem kontinuierlichen Übertragen der Ereignisse im (All-)Tagesverlauf, konnten sie Debatten verfolgen, Bilder über Flickr und Twitter recherchieren und selbst Interviewpartner requirieren.

Arbeitsgruppen und Debatten

Gekonnt und mit modernsten Mitteln stellen die Studierenden Öffentlichkeit her für ihre Anliegen - und lassen die Vertreter der etablierten Medien doch recht ratlos zurück, denn der basisdemokratische Ansatz der Proteste - die Bewegung versteht sich ja als dezentral und prozessorientiert - verbietet klare Strukturen und das Vorschicken Einzelner als Führerfiguren. Einen Rudi Dutschke will diese Generation nicht. Auch wenn die Medienöffentlichkeit telegene Ansprechpersonen und klare Ansagen einfordert.

Die Studierenden halten dagegen und setzen auf Debatte, unzählige Arbeitsgruppen werden gegründet, wochenlang wird ein alternatives Lehrprogramm mit Podiumsdiskussionen, Lesungen und Filmvorführungen organisiert. Die Hoffnungen, die die Studenten in die Proteste setzen, sind vielfältig - genau wie ihre politischen Ziele: Wo die einen nicht weniger als die Abschaffung des Kapitalismus fordern, träumen die anderen von etwas mehr Mitsprache an der Universität. Durch die Eigenmedialisierung werden diese Differenzen auch nach außen hin sichtbar. Doch der kleinste gemeinsame Nenner der Protestierenden ist immer noch groß genug, um Bildungspolitik in ihrer ganzen Dimension mehrere Wochen lang zum innenpolitischen Thema Nummer eins werden zu lassen.

Bildung ist Ware

Die Vielfältigkeit der Protestbewegung und ihrer Sympathisanten spiegelt sich im Band "Uni brennt" wider: Das Buch versammelt wissenschaftliche Betrachtungen und Metaanalysen etwa zu Hochschulbildung im Neoliberalimus neben launigen literarischen Essays von Studierenden und Redebeiträge prominenter Audimax-Besucher - darunter Marlene Streeruwitz, Doron Rabinovici und Armin Thurnher.

Der Bildungswissenschaftler Erich Ribolits räumt in seinem Beitrag mit dem Mythos auf, dass die Ökonomisierung von Bildung erst ein Phänomen der letzten Jahre sei.

Bildung, bzw. das, was sich dafür ausgibt, ist nicht erst im Neoliberalismus zur Ware geworden. Sie ist Ware, seit der Besuch von Schulen und Universitäten nicht mehr nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten, sondern zum Aufstiegsvehikel im Kampf um vorteilhafte gesellschaftliche Positionen geworden war. Sie ist zur Ware genau innerhalb jenes Systems geworden, das mit den durchaus positiv konnotierten Begriffen Aufklärung und wissenschaftlich-technische Revolution verknüpft ist. Schon seit mindestens 150 Jahren ist besiegelt, dass Wissen eine Ware ist. Und Bildung wurde spätestens, seit sie in institutionalisierter Form als umfassendes Bildungssystem praktisch wurde, ihrer systemkritischen Potenz beraubt.

Vermeintliche Sachzwänge hinterfragt

Die Texte im gut 300-seitigen Band sind von recht unterschiedlicher Qualität - einigen hätte man etwas mehr Überarbeitung gewünscht. Doch das Vorwort verrät, dass alle Texte innerhalb von nur zwei Monaten geschrieben werden mussten, um die Veröffentlichung sicherzustellen. Das stimmt milde. Und dass es kaum Antworten gibt auf die großen bildungspolitischen Fragen der Gegenwart, sondern dass diese kritisch analysiert und vermeintliche Sachzwänge hinterfragt werden, das nimmt man keineswegs als Manko wahr. Im Gegenteil: Es macht das Buch zur authentischen Dokumentation der Studentenproteste. Und lesenswert nicht nur für jene, die in irgendeiner Form daran beteiligt waren.

Lina Dokuzovic und Eduard Freudmann von der Akademie der bildenden Künste, an der die Bewegung ja ihren Ausgang genommen hat, wagen in ihrem Text einen Ausblick.

Wir dürfen nicht im Behagen dieses Moments verharren, sondern müssen damit fortfahren, ihn als Übergang zu begreifen und ihn dabei ständig in Frage zu stellen, anstatt Kollektivismus als Übungsfeld für unsere künftigen Karrieren als einzigartige, innovative Individuen zu benutzen. Tatsächlich liegt die große Ironie der Situation nicht darin, dass sich die gegenwärtige Welle internationaler Proteste am von sozialpartnerschaftlicher Tradition dominierten Österreich entzündet hat. Sie liegt vielmehr in der Tatsache, dass es mit einer Kunsthochschule ausgerechnet eine jener Maschinen zur Produktion neoliberalisierter Individuen war, anhand derer das Paradox des gesamten Systems, welches um diese herum aufgebaut worden war, offenbart wurde.

Service

Stefan Heißenberger, Viola Mark, Susanne Schramm, und Peter Sniesko, "Uni brennt", Turia & Kant Verlag

Turia & Kant