von Peter Rosei
Russland! Rossija! Russland!
Peter Rosei hat sich als Schriftsteller und Reisender, abseits von tagespolitischen Themen, an ein Porträt des Riesenreichs gewagt. Er beleuchtet darin an Hand einer Reise durch die Viertel Sankt Petersburgs, die Geschichte Russlands.
8. April 2017, 21:58
Charaktere einer Stadt
Mit Gogols Versen "Stürmst nicht auch du, Russland, wie ein schnelles Dreigespann dahin, das niemand einholen kann? …" beginnt Renate Pittroffs neue Produktion, in der sie einen Text des Wiener Schriftstellers Peter Rosei präsentiert. Rosei betrachtet darin die Entwicklung Russlands über die Zeiten hinweg bis ins Jetzt.
Das Stück erzählt von der Unruhe, die das größte Land der Welt antreibt, von den gewaltigen politischen Umwälzungen, denen es allein im 20. Jahrhundert unterworfen war. Immerhin wechselte die Staatsform in diesem Jahrhundert nicht weniger als drei-, eigentlich sogar viermal: Dem Zarismus folgte nach der Februarrevolution 1917 mit der Einsetzung des gemäßigten Kabinetts unter der Führung Kerenskis die Republik. Die Oktoberrevolution im selben Jahr führte zur Gründung der Sowjetunion unter Lenin. 1991/92 enstand durch Boris Jelzin die GUS. Derzeit ist Russland eine semipräsidiale Republik.
Abseits von tagespolitischen Themen
Aber immerhin entwickelte sich Russland im Lauf dieser bewegten Zeiten mit erstaunlicher Konsequenz von einem zurückgebliebenen, agrarisch dominierten, zaristischen Bauernstaat zu einer Industriemacht und schließlich zur zweiten Supermacht neben den USA.
Peter Rosei hat sich als Schriftsteller und Reisender, abseits von tagespolitischen Themen, an ein Portrait des Riesenreichs gewagt. Er beleuchtet darin an Hand einer Reise durch die Viertel Sankt Petersburgs, nicht zuletzt der sozial benachteiligten, die Geschichte des Landes. Der Autor kommt dabei auf die soziale Unausgeglichenheit und Ungerechtigkeit zu sprechen, die die tiefe Kluft zwischen fast unfassbarem Reichtum und dem Leben in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in den Plattenbauten, oftmals ohne Gas um Essen zu wärmen.
Große russische Literatur
Zwischen diesem Handlungsstrang stehen unzählige Zitate aus der großen russischen Literatur im Wandel der Zeiten: Neben Puschkins, Tschechows, Tolstois und Gogols Werken (etwa den "Toten Seelen"), sind Ausschnitte aus Dostojewskis großem Roman "Schuld und Sühne" in den Text eingearbeitet, Auszüge aus Daniil Charms Fragmenten und Ossip Mandelstams Schriften - die beiden letztgenannten übrigens Opfer der Stalinistischen Säuberungen in den 1930er Jahren - sehr charmant in diese Erzählung einer Reise eingeflochten.
Somit streift diese Arbeit neben den sehr poetischen Schilderungen der Stadt, der harten Darstellung der weit verbreiteten Armut in dieser Metropole, auch die politische Vergangenheit, damalige Pogrome bis hin zum heutigen jüdischen Leben, die vergangenen Hinrichtungen politischer Gegner und den heute herrschenden ungezügelten Kapitalismus.
Peter Rosei und die Regie von Renate Pittroff tauchen tief in das Sein, die Seele, in die Geschichte dieses Landes ein, sie bieten dem aufmerksamen Hörer an, bei dieser akustischen Reise reichlich Kleinode zu entdecken. - "Russland, wohin stürmst du? - Gib Antwort! - Es gibt keine Antwort.", nur mehr als 17 Millionen Quadratkilometer und die mehr als bewegte Geschichte eines Volkes von heute circa 143 Millionen Menschen und ihren Vorfahren.
Zum Autor
Der promovierte Jurist Peter Rosei war zwischen 1969 und 1971 Sekretär des Wiener Malers Ernst Fuchs. Seit 1972 lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller in Wien. Neben zahlreichen Veröffentlichungen (Romane, Erzählungen, Essays, etc.), die vorwiegend in österreichischen Verlagen erschienen sind, ist er einem breiteren Publikum auch als Übersetzer, Drehbuchautor und Verfasser von Hörspielen und Theaterstücken vertraut.
Neben vielen anderen Preisen erhielt Rosei unter anderem 1991 den "Österreichischen Würdigungspreis für Literatur", 1997 den "Literaturpreis der Stadt Wien" und 1999 den "Anton-Wildgans-Preis".
Hör-Tipp
Hörspiel-Studio, Dienstag, 16. Dezember 2008, 21:01 Uhr
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