Die Geschichte des Filmlichts

Film und Licht

Richard Blank geht es in seinem Buch um die Effekte des Filmlichts, nicht um dessen handwerkliche Aspekte. Nach einem knappen historischen Abriss widmet sich Blank der Beschreibung von 34 unter lichtästhetischen Gesichtspunkten herausragenden Filmen.

"Die Geschichte des Lichts ist die Geschichte des Lebens, und das menschliche Auge ist die erste Kamera", sagte einst der Regisseur Josef von Sternberg. Richard Blank greift dieses Zitat auf. "Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films", behauptet sein Buch "Film und Licht" im Untertitel. Es will, anhand ausgewählter Einzelanalysen, einen Überblick geben über die Verwendung des Lichts im Film, spannt dabei den Bogen von Charlie Chaplins Film "The Champion" von 1915 bis Lars von Triers "Dogville" aus dem Jahr 2003 und versucht damit zum ersten Mal, das Thema wenn nicht systematisch, so doch ausführlich und differenziert darzustellen.

"Es gibt in der Filmliteratur wenige strukturelle Analysen", meint Blank. "Es gibt Lehrbücher. Wie aber etwas entstanden ist und warum es so entstanden ist, darüber gibt es sehr wenig. Auch beim Licht. Es gibt keine Geschichte des Filmlichts. Es gibt nur zwei Aufsätze."

Am Anfang war das Tageslicht

Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert zog es Filmleute ins sonnige Kalifornien, um dort in Glasstudios mit natürlichem Licht zu filmen. Spiegel als Reflektoren und Diffusoren aus Stoff halfen, ein gleichmäßiges Licht zu erzeugen. Auf elektrisches Licht wurde (noch) verzichtet, es ermöglichte kein weiches Licht.

Erst um 1905, als die Quecksilberdampflampe erfunden war, kam Kunstlicht zum Einsatz - und eröffnete neue gestalterische Möglichkeiten: die Entfaltung einer effektvollen Licht-Schatten-Dramaturgie. Einer der ersten, der diese zu früher Meisterschaft führte, war David Wark Griffith. In seinem Epos "Birth of a Nation" arbeitete Griffith mit starken Helligkeitskontrasten, mit weißem Rauch, mit raffinierten Abdunkelungen.

Cecil B. DeMilles "klassisches" Licht

Kreierte Griffith eine expressive Hell-Dunkel-Dramaturgie, so bevorzugte sein Landsmann Cecil B. DeMille ein helles, ein sogenanntes "high key"-Licht, das auf Kontraste verzichtete, das keine auffälligen Effekte erzeugen, sondern sich stets der Story unterordnen sollte. DeMille gilt als "Vater" des vermeintlich "natürlichen", des klassischen Hollywood-Lichts.

"Das Erstaunliche ist, 1925/26, als die Hollywood-Companys Aktiengesellschaften wurden, wurde das dann kodifiziert", so Blank. "Das Licht wurde gesetzmäßig niedergeschrieben, wie das zu sein hat. Und danach hatten sich alle zu richten - in Hollywood.

Mit Cecil B. DeMilles Erfolg war die Phase der Lichtexperimente in Hollywood vorbei. Helle Bilder mit wenigen schwachen Kontrasten wurden zum Standard - und korrelierten mit der Botschaft der Filme, die oft nichts anderes signalisierte als Glück, Hoffnung und Zuversicht.

Zwei Drittel der Zeit für Lichtregie

Doch dieses klassische Hollywood-Licht, mag es auch seit Jahrzehnten dominieren, Diktat des Mainstreams und Zeugnis einer gewissen Phantasielosigkeit sein, ist keiner handwerklichen Ignoranz geschuldet. Wenn man heute zehn Stunden am Filmset arbeite, brauche man zwei Drittel der Zeit allein für die Lichtregie, weiß Blank:

"Da muss man sehr viel tun, damit keine falschen Schatten kommen. Nehmen wir an, es gibt dieses Richtungslicht aus dem Fenster. Dann muss man ein Fülllicht machen, um die Schatten wegzumachen. Um in die Dreidimensionalität zu kommen, muss man die Dekoration besonders ausleuchten. Dann aber geht die Person vielleicht verloren. Und so gibt man der Person von hinten ein Spitzlicht auf den Kopf. Das ist sehr diffizil, und die Schauspieler müssen sich auch noch bewegen können. Also, da muss hart gearbeitet werden, und für Laien unerklärbar, was die sechs, sieben Stunden rummachen, während die Schauspieler im Endeffekt nur eine halbe Stunde drehen."

Max Ophüls' Kunst

Dass Richard Blanks Untersuchung nicht um das Jahr 1925 endet, mit Cecil B. DeMilles auch für spätere Generationen maßgeblicher Lichtdramaturgie, hängt damit zusammen, dass es immer wieder Einzelgänger gab, die sich der Hollywood-Doktrin widersetzten. Unter den frühen Regisseuren waren das Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau oder Robert Siodmak, vor allem aber Max Ophüls, Blanks persönlicher Favorit. Ophüls' Film "Der Reigen" ist für den Autor ein Meilenstein der Filmgeschichte.

"Man muss sich vorstellen, dass er im "Reigen" einen Anfang hat von fünf Minuten - ungeschnitten. Und es wechselt von Nacht zu Tag zu Nacht, und der Zuschauer merkt es nicht", sagt Blank. "Das ist die Kunst von Ophüls, das so elegant zu machen und so weich, dass der Zuschauer nicht die Absicht dahinter merkt.(...) Er malt seine Bilder, die sehr in die Tiefe gehen, mit Lichtflecken, achtet auch gar nicht darauf, wenn eine Person sich mal im Dunkeln verliert und dann wieder rauskommt. Er malt die Bilder."

"Zertrümmerung" des Hollywood-Lichts

Zu den "Malern" des Films, die mit den Mitteln des Lichts ihre eigene künstlerische Realität schufen, zählt Blank neben Ophüls und Welles auch Regisseure wie Maurice Tourneur oder Luis Bunuel, die Protagonisten des italienischen Neorealismus oder der französischen Nouvelle Vague, aber auch die Vertreter des "New Hollywood"-Kinos der 1970er Jahre, Robert Altman zum Beispiel oder Martin Scorsese, die just in der Zeit den Durchbruch schafften, als die großen Studios in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.

"Und diese Filme, z.B. 'Taxidriver' oder 'Mash', die zertrümmern sowohl die Hollywood-Story wie dieses Hollywood-Licht", so Blank. "Nur danach, als es wieder losging, als die Companys wieder viel Geld verdienten und die großen Filme gemacht werden mussten, wurde denen das untersagt, so zu arbeiten. Selbst Scorsese ist nicht mehr in der Lage, das Licht zu setzen, wie er will, sondern er muss sich nach den Regeln des Studios richten."

Genauigkeit des Blicks

Richard Blanks "Film und Licht" ist weder eine auf Vollständigkeit und Ausgewogenheit abzielende Darstellung der Geschichte des Filmlichts, noch ein Lehrbuch, das die Praxis der Lichttechnik beschreibt. Es geht um die Effekte des Filmlichts, nicht um dessen handwerkliche Aspekte. Folgerichtig widmet sich Blank nach einem knappen historischen Abriss der Beschreibung von Einzelbeispielen, von 34 unter lichtästhetischen Gesichtspunkten herausragenden Filmen.

Kritisieren kann man den unsystematisch wirkenden Aufbau seiner Untersuchung, die manchmal langatmigen Inhaltsangaben der Filme, die persönlichen Einlassungen und anekdotischen Details. Loben muss man dagegen die Genauigkeit des Blicks, die Mustergültigkeit der dem Buch beiliegenden DVD mit Filmausschnitten, die mehr sagen als umständliche Beschreibungen, und nicht zuletzt die Verve, mit der hier einer gegen das Diktat der Hollywood-Ästhetik ins Feld zieht.

"Es ist völlig sinnlos, noch ein Sachbuch zu schreiben", meint Blank. "Man muss mal Stellung beziehen. Man muss sehen, dass die Übermacht Hollywoods da ist, das ist eine industrielle Großmacht, die uns in unsere künstlerischen Bereiche reinleuchtet. Und dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen."

Hommage an die "Lichtrebellen"

Richard Blanks Buch ist eine Hommage an die "Lichtrebellen", die sich keinen gängigen Standards unterwarfen und ihre eigene Lichtdramaturgie entwickelten - wie Griffith, Ophüls oder Welles, wie Godard oder Rossellini - oder, aus jüngster Zeit, in der Blank nur bescheidene zwei Beispiele auffielen, wie Lars von Trier oder Wong Kar-Wai.

Es ist auch ein Plädoyer für einen mutigeren, einen freieren, einen originelleren Umgang mit dem Filmlicht - und letztlich für eine Emanzipation der Regisseure von den Kameraleuten, die noch immer die "Lichthoheit" besäßen und immer nur das wiederholten, was seit über 80 Jahren ein Irrtum ist: dass das Filmlicht ein quasi "natürliches" Licht ist.

Service

Richard Blank, "Film und Licht. Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films", Alexander Verlag Berlin

Richard Blank