Wie Adolf Holl mir etwas zu bewahren half

Der letzte Christ

Der Glaube meiner Großmutter war pragmatisch, mein eigener zweifelnd und, von einer bestimmten Phase in der Pubertät abgesehen, sehr kirchenfern.

Ich finde das Buch nicht mehr, Herr Holl, keine Ahnung, wem ich es geborgt habe. In der aktuellen Ausgabe der "Zeit" las ich eben einen Artikel über Sie, las über Lust und Zölibat und Widersprüche, stand auf, stand vor meinem Bücherregal und fand und finde das Buch nicht mehr. Hätte es gern zur Hand genommen, es aufgeschlagen und daran gerochen. War so um die fünfzehn, als ich "Der letzte Christ" zum ersten Mal gelesen habe, in einer Phase großen Zweifels am Katholizismus und voller Sehnsucht nach einem verständlichen Menschenbild. Wohl bin ich in die Messe gegangen, meistens allein am Samstagabend, viel früher noch an der Hand der Großmutter, deren Zugang zum Glauben ein pragmatischer war.

Meiner war ein zweifelnder, zuerst mit zwölf oder dreizehn Jahren einen klaren Moment (ich brauche keinen Gott von außen, ich bin mein eigener Gott), dann der Versuch, Anschluss an die Gleichaltrigen der Kleinstadt zu finden, was nicht gelang, auch nicht durch den Besuch der Messe, vielleicht ein wenig durch die Treffen der Katholischen Jugend, aber ruhiger machten die Rituale des Niederkniens, des Aufstehens, des Betens, des Bekreuzigens, des Kopfsenkens schon. Durch die räumliche Leere der Kirche, das nach oben Verstrebte, den nach Weihrauch duftenden Luftraum unter dem Kreuzgewölbe, wurde das Alleinsein verständlicher und klarer, und da ist ja auch Trost in den Worten. Man kann ruhig werden, wenn man Sätze sagt wie "Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund".

Sprich nur ein Wort. Daran blieb ich haften, an dem einen Wort. Licht war das in meinen Augen, das sich in die Seele senkt. Und wieder der Zweifel, ob man dazu (für dieses Licht) eine Kirche braucht, die Schuld mit riesengroßen Lettern schreibt, deren Gnade (für mich) Herablassung mit sich brachte, vielleicht aus der eigenen solipsistischen Überheblichkeit gesehen, die auch die relative (aber in der Erinnerung heftige) Einsamkeit dieser Jahre mit bedingt haben wird.

Dann las ich Ihr Buch, weil es "Der letzte Christ" heißt, von Franz von Assisi handelt und ich mich vorher in den Franz von Assisi aus "Brother Sun and Sister Moon" von Franco Zeffirelli verliebt hatte, nicht in den Heiligen, sondern ganz profan in den Schauspieler Graham Faulkner, der den Franz spielte, und ich über diesen Umweg mehr wissen wollte über den Sohn des reichen umbrischen Tuchhändlers.

Ich liebe dieses Buch. Warum? Keine Ahnung. Es ist wunderbar geschrieben, umfassend und genau. Sie erzählen darin, was man vom Leben des Franz und von seiner Zeit weiß, und überlassen der Leserschaft, ihn für verrückt zu halten oder eben für das, was man "heilig" nennt.

Als Christen, dachte ich, sollten sich doch nur jene bezeichnen dürfen, die der Lehre des Jesus von Nazareth bedingungslos folgen. Jener überlieferten, durch viele Hände und vor allem Köpfe gegangenen, weiter formulierten, ausgedehnten Lehre der Nächstenliebe, des Verzichtes und der Demut. Wenn das aber so ist, wer darf sich guten Gewissens Christ nennen? Der von Ihnen gezeigte Franz, der völlig aufgeht in dem Glauben daran, das Richtige zu tun, sich nicht beirren lässt, auch wenn er als Narr verspottet wird, als heiliger Narr in einer ihm nicht verständlichen Welt.

Aus der Distanz von einigen Jahren betrachtet, war Ihr Buch für mich ein erster wirklicher Anhaltspunkt in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der katholischen Kirche und ihren Prinzipien. Viel später fand ich auf den ersten Seiten von "Die Welt zum Narren halten" einen Schatz, eine Art Mantra, das mich seither begleitet. (Doch das gehört nicht hierher.)

Warum ich das heute so schreibe, direkt an Sie gerichtet? Mit 19 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich bin weder katholisch noch eine Christin. Diese Kolumne erscheint am Ostermontag. Worüber soll ich sonst schreiben? Wenn ich an Ostern denke, denke ich an die kleinen gelben Gummistiefel, die ich als Kind im Osternest fand. An den Korb mit geweihten Speisen, an grünes Papiergras und Osterlämmer. Nicht an Karfreitag, Kreuzigung, Auferstehung und ein leeres Grab.

Aber wenn ich den Gedanken weiterspinne, quasi vom Schokohasen zum Christentum. Dass ich das auch so betrachten kann, ehrlich fasziniert von einem wesentlichen Kern jenes Glaubens, der meine Kindheit geprägt hat - und das ohne Sarkasmus -, das hat etwas mit Ihren Büchern zu tun. Dadurch ging etwas Wichtiges eben nicht ganz verloren. Und als ich heute in der "Zeit" den Artikel über Sie fand, dachte ich: Genau, darüber kannst Du schreiben. Ich danke Ihnen. (Jetzt muss ich nur noch das Buch wiederfinden.)

Service

Buch Adolf Holl, "Der letzte Christ. Franz von Assisi", Kreuz-Verlag

Buch Adolf Holl, "Die Welt zum Narren halten", Kösel Verlag

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