Zum 65. Geburtstag von Felix Mitterer
Der gute Felix
Mit seinem Stück "Stigma" provozierte er die katholische Kirche, mit der "Piefke-Saga" machte er sich die Tiroler Tourismusindustrie zum Feind, in "Die Beichte" thematisierte er Übergriffe in kirchlichen Institutionen. Kaum eine offene Wunde, in die Felix Mitterer nicht seinen Finger legt.
8. April 2017, 21:58
"Mitbewohner gesucht"
So hieß es da ebenso knapp wie lapidar im Inseratenteil der "Tiroler Tageszeitung". Daneben ein moderater Preis und eine Telefonnummer. Sonst nichts. Ich war auf der Suche nach einer Bleibe, damals im Sommer 1975. Es hatte mich nach Innsbruck verschlagen, um beim alten Professor Köhler Psychologie und beim jungen Professor Pelinka Politikwissenschaft zu studieren.
Der Mann, der mir nach einer telefonischen Vereinbarung wenige Tage später im ersten Stock eines Gründerzeithauses in der Innsbrucker Haspingerstraße die Tür öffnete, war barfuß, hatte langes, schwarzes, gekräuseltes Haar und einen kleinen runden Bauch. Er sei Zollbeamter, sagte er, allerdings in der Verwaltung, ohne Uniform. Nebenbei aber schreibe er. Bisher habe er in der Ö3-Musicbox eine Weihnachtsgeschichte veröffentlicht. Immerhin. Wir wurden schnell handelseins, ich zog ein, wir teilten eine Zweizimmerwohnung mit einer Loggia, die den Blick auf die Nordkette freigab. Das Institut für Psychologie lag gleich ums Eck, das Studium gestattete einem lange Nächte und einen gemächlichen Einstieg in den Tag.
Schreibender Sonderling
Felix kaufte jeden Morgen Zeitungen und radelte dann, mit gebührender Verspätung, ins Büro. Abends lud er mich, den Studenten, häufig zum Abendessen ein, las, sah fern oder schrieb bis tief in die Nacht. Das Adoptivkind eines Tiroler Landarbeiterehepaares war schon als Junge in die Welt der Wörter und in die Welt der Bücher entflohen. Weil er so schöne Aufsätze schreiben konnte wurde er, ungewöhnlich für ein Kind seiner Zeit und Herkunft, ins Gymnasium geschickt. Er entfloh auch diesem - und landete beim Zoll. Man quälte ihn dort nicht, sondern ließ den schreibenden Sonderling gewähren.
Weniger als ein Jahr nach der Gründung unserer Zweimannwohngemeinschaft begann, förmlich aus dem Nichts, der kometenhafte Aufstieg des späteren "Volksautors" Felix Mitterer. Es war die Zeit von Franz Innerhofer und Gernot Wolfgruber. Jene Kreisky-Jahre, in denen politische und sozial engagierte Literatur ins allgemeine Konzept des Aufbruchs passten. 1976 produzierte das Landesstudio Tirol Felix Mitterers erstes Hörspiel "Kein Platz für Idioten". Bald wurde daraus ein Theaterstück, Felix selbst spielte sowohl an der Tiroler Volksbühne Blaas wie auch später in Wien den Idioten.
1977 erschien sein Kinderbuch "Superhenne Hanna", die Stückaufträge häuften sich, Felix kündigte beim Zoll und riskierte ein Leben als freier Schriftsteller. Mir kam während dieser Jahre die ganz und gar nicht geliebte Rolle als Erstleser zu. Ich war, damals zumindest, noch nicht geübt im Lektorieren von dramatischen Texten. Vor allem aber hatte ich Angst, das jeweilige Stück, der jeweilige Text, könnte mir nicht gefallen. Und wie sagt man das dann seinem Mitbewohner - ohne die Freundschaft zu gefährden?
Schreibmarathon
Felix hatte eine mörderische Art seine Stücke zu verfertigen. Tage- und wochenlang tat er, auf eine quälende und lähmende Weise, nichts. Er las, rauchte bis die Aschenbecher überquollen, aß Kekse und begann, kleine gelbe Zettel vollzukritzeln, mit denen er nach und nach die Wände seines Zimmers tapezierte. Und erst spät, sehr spät, manchmal erst wenige Tage vor dem vereinbarten Abgabetermin, erhob er sich aus seinem Fauteuil, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb. Manchmal 14, 16 oder 20 Stunden am Stück. Tag und Nacht verschmolzen zu einer Einheit, und irgendwann, am späten Vormittag oder um fünf Uhr morgens, war das Werk vollendet. Am Ende eines solchen Schreibmarathons sah er manchmal aus wie ein geschlagener Mittelgewichtler nach der zwölften Runde. Verschwollene Augen, verwildert, blass, bleich und erschöpft. Glücklicherweise hat mir Felix Mitterer mein Privatlektorendasein nicht allzu schwer gemacht. Ich teilte, wohl auch meiner sozialen Herkunft wegen, seinen politischen Ansatz, sein Engagement für Außenseiter, für Arme, Schwache und Entrechtete.
Brisante Themen
Kaum einer ist so zielstrebig seinen Weg gegangen wie er. Mit seinem Stück "Stigma" (1982) provozierte er die katholische Kirche, mit der "Piefke-Saga" (1991) machte er sich die gesamte Tiroler Tourismusindustrie zum Feind. Kaum ein brisantes Thema, das Felix Mitterer nicht schon thematisiert hätte, kaum eine offene Wunde, in die er nicht seinen Finger legt. Bereits 2003 hatte er in seinem Hörspiel "Die Beichte" auf Übergriffe und sexuellen Missbrauch in kirchlichen oder kirchennahen Institutionen aufmerksam gemacht. 2008 ließ er einen "Tatort", in dem es um die Zwangsverehelichung türkischer Mädchen ging, in der durch den sogenannten "Minarett-Streit" in die Schlagzeilen geratenen Tiroler Marktgemeinde Telfs spielen.
Dabei ist der mittlerweile 65-jährige Autor alles andere als streitsüchtig. Richtig wütend wird der stille, friedfertige und geradezu konfliktscheue Felix Mitterer nur, wenn man ihn mit Maßstäben misst, die definitiv nicht die seinen sind. Als Sigrid Löffler ihn und seine Werke im "profil" einmal förmlich zerriss und ihm vorwarf, Partei zu nehmen anstatt "Literatur" zu produzieren wie etwa Peter Handke, verbat er sich öffentlich, von der Kritikerin jemals wieder gelesen, gehört, gesehen oder rezensiert zu werden. Es sei nie sein Anspruch gewesen, so Mitterer, wie Friederike Mayröcker oder wie James Joyce zu schreiben. Auch, wenn er deren Arbeiten über alle Maßen schätze. Er habe eine Botschaft und er schreibe für das Volk. Und um das Volk zu erreichen müsse er sich der modernen Volksbühne bedienen, dem TV.
An die dreißig Theaterstücke und mehr als zwei Dutzend Filme, die meisten davon fürs Fernsehen, weisen ihn heute als einen der erfolgreichsten Dramatiker des gesamten deutschsprachigen Raumes aus. Nach Abschluss meines Studiums trennten sich unsere Wege. Ich ging nach Vorarlberg und begann im Landesstudio Vorarlberg für den ORF zu arbeiten. Felix heiratete die Malerin Chryseldis Hofer, übersiedelte später mit seiner Familie nach Irland um Jahre später wieder nach Österreich zurückzukehren. Seither kreuzen sich unsere Wege wieder öfter. Das lange schwarze Kraushaar ist einer wesentlich eleganteren, angegrauten Haartracht gewichen. Und der kleine, gemütliche Kugelbauch war bald nach dem Ende von Felix‘ Beamtendasein verschwunden. Das Leben als freier Schriftsteller, könnte man schließen, macht schlank und zäh.
Übersicht
- Literatur