Menschenrechtsgerichtshof gegen Österreich
Wahlrecht für Häftlinge
In Österreich sind Häftlinge mit längeren Gefängnisstrafen grundsätzlich vom Wahlrecht bei Nationalratswahlen ausgeschlossen. Das hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für falsch. Anlass für diese noch nicht rechtskräftige Entscheidung war Klage eines inzwischen freigelassenen österreichischen Häftlings.
23. November 2023, 15:32
Morgenjournal, 09.04.2010
Regel der Wahlordnung
Wer nicht wählen darf, das regelt die geltende Nationalratswahlordnung: Gemäß Paragraph 22 ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Zug durch die Instanzen
Anlässlich der Nationalratswahl 2002 hat ein damaliger Häftling gegen diese Ausschließung bei der Wahlbehörde Einspruch erhoben. Der wurde abgewiesen, ein Jahr später sah auch der Österreichische Verfassungsgerichtshof die geltende Regelung als verfassungsmäßig korrekt an. "Der Mann hat daraufhin beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Klage erhoben und sich wegen einer Verletzung seines Rechts auf freie Wahlen beschwert", sagt Nina Salomon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Anrufung des Gerichts erfolgte im Jahr 2004.
Entscheidendes Merkmal einer Demokratie
Jetzt - der Kläger ist inzwischen wieder frei - liegt die Entscheidung vor. Und die geht unabhängig vom Einzelfall ins Grundsätzliche: Mit dem gestrigen Urteil habe der Gerichtshof dem Beschwerdeführer Recht gegeben, mit der Begründung: Das Recht auf freie Wahlen sei ein entscheidendes Merkmal eines demokratischen Systems. Zwar könne das Wahlrecht eingeschränkt werden, doch dürfe der Wesenskern dieses Rechts nicht angetastet werden, sagt Nina Salomon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Kein automatischer Ausschluss
In Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht auf freie Wahlen verankert. Dass Strafgefangene vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, verstößt nicht grundsätzlich gegen die Menschenrechtskonvention. Der Wahlausschluss darf aber nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen, etwa wenn zwischen der Tat eines Verurteilten und dem Schutz der Demokratie ein Zusammenhang bestehe, erläutert die Gerichtssprecherin. Ein allgemeiner und automatischer Ausschluss sei nicht vereinbar.
Republik muss 5.000 Euro zahlen
Die Gründe für eine Wahlausschließung in Österreich sind demnach also zu ungenau. Der Gerichtshof hat Österreich zu einer Entschädigungszahlung von 5.000 Euro an den Kläger verurteilt.
Ob nun die Nationalratswahlordnung so geändert wird, dass sie der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte nachkommt, ist offen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Österreich hat drei Monate Zeit für einen Einspruch.