Der Wagner-Held wird 70

Siegfried Jerusalem

Als moderner Rollengestalter unumstritten, stieß Siegfried Jerusalem mit seinen vokalen Mitteln oft an seine Grenzen. Am 17. April feiert der Wagner-Held seinen 70. Geburtstag. Vor seiner Bühnenkarriere hatte er als Orchestermusiker sein Geld verdient.

Siegfried Jerusalem als Rienzi

Vom Orchestergraben auf die Bühne

Es war Mitte der 1970er-Jahre, als der italienische Startenor Franco Bonisolli in einer deutschen Fernsehproduktion der Johann-Strauß-Operette "Der Zigeunerbaron" den Barinkay verkörpern sollte (was er Ende 1975 an der Wiener Staatsoper auch tatsächlich tat), im letzten Augenblick aber absagte. Ein attraktiver Mittdreißiger sprang damals für Bonisolli ein - unter dem Namen Siegfried Salem.

Unter diesem Künstlernamen verbarg sich ein Mann, der zu dieser Zeit bereits eineinhalb Jahrzehnte als Orchestermusiker Karriere gemacht hat: als Fagottist, unter anderem beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart - lange Zeit unter Sergiu Celibidache. Das war der ungewöhnliche Beginn der Tenorkarriere von Siegfried Jerusalem, der nur wenige Jahre danach als "die junge Heldentenorhoffnung" gefeiert wurde - doch da war er bereits 40!

Am grünen Hügel

Siegfried Jerusalem wurde am 17. April 1940 in Oberhausen geboren, sein Vater war Elektroingenieur, er selbst hat von 1955 bis 1960 an der Folkwang-Schule Essen Fagott und Klavier (Nebenfach Geige) studiert, danach ging er als Fagottist ins Engagement. Parallel zu diesem Hauptberuf hat er bei Hertha Kalcher Gesangsunterricht genommen.

Nach dem überraschenden Erfolg als Operettenheld übernahm er kleinere Gesangspartien in Stuttgart und sang 1976 in Darmstadt seinen ersten "Lohengrin", was ihm bereits ein Bayreuth-Engagement für das darauffolgende Jahr einbrachte. 1979 konnte man ihn auch am Grünen Hügel (alternierend mit Peter Hofmann) als "Lohengrin" erleben, wofür er teils hymnische Kritiken erhielt.

Nicht ohne Pannen

So schrieb zum Beispiel Karl Heinz Ruppel in der "Süddeutsche Zeitung": "In der Gralserzählung, die er in einer entrückten Mezzavoce begann, offenbarte sich der Königssohn des mystischen Reiches dann in voller heldentenoraler Stimmpracht."

Leider ging nicht immer alles so glatt in seiner Sängerkarriere. 1981 übernahm er in Bayreuth den Stolzing in "Die Meistersinger von Nürnberg", doch die ihm zu hoch liegende Partie geriet zum Desaster. Offenbar war seine Gesangstechnik zu dieser Zeit noch nicht ganz gefestigt, denn Ähnliches passierte ihm ebenso in Wien, wenn auch in ganz anders gearteten Rollen, nämlich als Hans in der "Verkauften Braut" und vor allem bei einer konzertanten Aufführung der "Königin von Saba", wo er sich den extremen Anforderungen der Bravourpartie des Assad kaum gewachsen zeigte.

Makellos auf Platten

Auf der Bühne konnte er solche Pannen relativ leicht überspielen, denn sein natürliches Darstellungstalent und seine gewinnende Erscheinung machten so manche Schnitzer schnell wett, und bei Schallplatten-Aufnahmen konnte man sowie so korrigieren. Es wundert also nicht, dass sich die Tonträger-Industrie in reichem Maße seiner Stimme bedient und relativ viele Aufnahmen mit ihm produziert hat.

Insbesondere da er auch bei anglosächsischen Kritikern gut angekommen ist, die meinten, "dass hier endlich ein deutscher Tenor gekommen sei, der nicht wie ein deutscher Tenor klinge, sondern schöne, lyrische Töne produziere." Merkwürdigerweise konsolidierte sich seine Gesangstechnik ab dem Zeitpunkt, als er die wirklich schweren Helden zu singen begann, und so gelang ihm etwa der Jung-Siegfried -zumindest in den ersten beiden Aufzügen- meistens ganz ausgezeichnet.

Siegfried Jerusalem in Wagners "Siegfried"

Charaktertenor und Pädagoge

Manchen Unkenrufen zum Trotz konnte Siegfried Jerusalem seine so spät begonnene Karriere dann doch mehr als ein Vierteljahrhundert weltweit ausüben, danach wechselte er ins Charakterfach, wo man ihn bis in die jüngste Vergangenheit zum Beispiel als Aegisth oder Herodes, ja sogar als Hexe in "Hänsel und Gretel" erleben konnte. Und er hat sich darüber hinaus immer wieder auch als Liedgestalter versucht. Seit Jahren ist Jerusalem außerdem pädagogisch tätig und war längere Zeit Präsident der Hochschule für Musik in Nürnberg.