Scheinbar Abgegriffenes im Vergleich

Mozarts "alla turca"

Kann eine Melodie abgegriffener sein als Mozarts berühmtes "alla turca"? Überraschend ist, wie unterschiedlich dennoch diese Melodie aus den Händen verschiedener Pianisten klingt. Ein Interpretationsvergleich von Horowitz bis Vorraber.

Chamäleonartige Wandelbarkeit

Wer hört schon noch auf Details bei einer Melodie, die in Kaufhäusern oder Werbespots erklingt? Auch wenn man weiß, wie fein dieses "alla turca", das Rondo aus Mozarts Klaviersonate Nr. 11 (KV 331), komponiert ist, die Allgegenwart dieser Melodie verwischt die Facetten, die sehr verschiedenen Dimensionen dieses Stücks.

Deutlich wird diese fast chamäleonartige Wandelbarkeit des "alla turca" beim genauen Hören der verschiedenen Interpretationen und auch Arrangements. Ob verjazzt oder mit folkloristischen "Orientalismen", ob mit südamerikanischen Rhythmen oder als Pop-Song - für alle möglichen Versionen scheint diese Melodie adaptierbar. Und auch die verschiedenen Interpretationen der unzähligen Pianisten und Pianistinnen weisen beträchtliche Unterschiede auf: Von Kanonendonner einer türkischen Armee bis zum Rokoko-Ständchen aus bürgerlichem Wohnzimmer reicht Bandbreite.

Ungehobelt

Das Türkische war in der Musik des Barock bis ins 19. Jahrhundert hinein fast immer stellvertretend für das Grobschlächtige, Martialische, Bedrohliche, Mächtige, manchmal auch Unkultivierte. Sei es, um dem Publikum einen leisen Schauer zu verschaffen oder um es zum lachen zu bringen: Janitscharenmusik war ein beliebtes exotisches Stilmittel, das heißt Anklänge an die kriegerischen Märsche jener türkischen Edelgarde, oft mit Trommeln, Schellen, Rasseln waren auf den Opernbühnen des 18. Jahrhunderts zu hören (berühmtestes Beispiel ist natürlich Mozarts "Entführung aus dem Serails") oder rein instrumental mit heftigen Akzenten, durchgehaltenen Basstönen (Bordun) und dergleichen mehr.

Natürlich hängen viele dieser türkischen Märsche oder Auftritte von Sultanen oder so genannten "Muselmanen" auf den Opernbühnen mit den Türkenkriegen beziehungsweise Türkenbelagerungen zusammen. Manche meinen gar eine Art Angstverarbeitung hier entdecken zu können. "Der türkische Schock saß tief in der kollektiven Erinnerung der Österreicher" (schreibt Wolfgang Martin Stroh in: "Diskussion Musikpädagogik", 24/04), auch wenn (zur Zeit Mozarts) die zweite Türkenbelagerung Wiens schon zirka 100 Jahre zurück lag.

Maria Joao Pires

Delikat, nicht wild

In seiner Klaviersonate KV 331 endet Mozart mit einem Rondo, das er mit "alla turca" überschreibt. Nachdenklich, langsam, vorsichtig, eher wie ein zartes Rokokostück spielt Maria Joao Pires diesen Ohrwurm der Klassik. Man könnte sagen: ein delikates Vergnügen, allerdings ohne Schwung, ohne die Wildheit eines türkischen Marsches.

Mozart mit Swing

Schneller, kürzer artikuliert und fast mit einem leichten Swing dagegen die Version von Vladimir Horowitz.

Vladimir Horowitz

Überraschende Betonungen

Diametral entgegengesetzt zur Auffassung von Pires ist die Interpretation von Franz Vorraber: noch schneller das Tempo, aufgeregter, turbulenter. Ein wirklich kriegerisches "alla turca" durch etliche, teilweise überraschende Betonungen und Akzentuierungen.

Franz Vorraber

Und Vorraber betont, skandiert bestimmte Basstöne so sehr, dass wir plötzlich eine Unterstimme hören, die wie ein Signal klingt oder eine Fanfare bläst. Vergleichen Sie noch einmal, wie das bei Maria Joao Pires klang...

Maria Joao Pires

Ein Stück mit vielen Gesichtern

Einen größeren Gegensatz kann man sich kaum vorstellen. Was dort wie ein wilder "Kriegstanz" klingt, erscheint hier wie ein zartes Rokoko-Stückchen. Und beides überzeugt, passt zu diesem Stück - auch im Hinblick auf historisch-stilistische Überlegungen. Viele Gesichter scheint dieses "alla turca" zu haben...

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