Überlegungen von Peter Sloterdijk
Die "Unproduktiven" im "Steuerstaat"
Peter Sloterdijk ist Rektor der staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und lehrt dort Philosophie und Ästhetik. Im Juni 2009 löste er mit einem Artikel in der "FAZ", ein Gastbeitrag in der Reihe "Die Zukunft des Kapitalismus" eine Debatte über Steuergerechtigkeit und Gleichheit aus.
8. April 2017, 21:58
Peter Sloterdijk klagt in seinem Artikel mit dem Titel "Die Revolution der gebenden Hand" nicht wie andere über faule, schwache, lebensuntüchtige Einkommenslose. Schließlich ist Peter Sloterdijk Philosoph, und so spricht er fein von "Unproduktiven". Früher einmal, im ökonomischen Altertum, da hätten die Reichen auf Kosten der Armen gelebt, so Sloterdijk, jetzt aber würden "die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben". Und dies zudem auf missverständliche Weise, "nämlich so, dass sie gesagt bekommen und glauben, man tue ihnen unrecht und man schulde ihnen mehr".
Die Verhältnisse hätten sich nicht nur umgedreht, die die Reichen ausbeutenden Armen seien zudem noch undankbar. Schuld daran sei der moderne Staat, den Sloterdijk als "Steuerstaat" bezeichnet. Binnen eines Jahrhunderts hätte sich dieser zu einem "geldsaugenden und geldspeienden Ungeheuer von beispielloser Dimension ausgeformt. Dies gelang ihm vor allem mittels einer fabelhaften Ausweitung der Besteuerungszone, nicht zuletzt durch die Einführung der progressiven Einkommenssteuer, die in der Sache nicht weniger bedeutet als ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung, mit dem bemerkenswerten Vorzug, dass sich die Prozedur Jahr für Jahr wiederholen lässt".
Sloterdijk ruft pathetisch nietzscheanisch zu einem "antifiskalischen Bürgerkrieg" auf. Als Ergebnis einer erfolgreich geschlagenen Revolution der gebenden Hand würde niemand mehr Steuern zahlen. Die jetzt durch Steuern aufgebrachte Summe sollte durch "spontane Abgaben der Bürger" zusammenkommen. Eine Gesellschaft, die auf einem Wettbewerb stolzer Geber beruht, möchte er vorantreiben, bekennt Sloterdijk in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Spiegel".
Diskreter Reichtum
Sloterdijks Vorstellung von Geschenken an die Allgemeinheit statt Steuern sei ökonomischer Schwachsinn, meint der Steuerrechtler und ehemalige deutsche Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof: "Ein Staat, der Freiheit im Wirtschaftlichen garantiert, muss sich durch Steuern finanzieren. Dabei kann er nicht auf freiwillige Zahlung setzen, solange er nicht nur das Scherflein der Witwe empfangen, sondern auch den Geldsack des Geizkragens belasten will."
Wie viele reiche Geizkrägen gibt es in Österreich? Wie viele in Europa und den USA? Wir wissen es nicht. Selbst die berühmte Forbes List der Superreichen beruht nur auf Schätzungen. Reichtum ist diskret. Was von Reichen, und zwar den wirklich Reichen zu holen wäre, kann also auch nur geschätzt werden.
Genau bekannt ist hingegen, was von den Unproduktiven zu holen ist. Die Journalistin und gelernte Bankkauffrau Ulrike Herrmann weist in ihrem Buch "Hurra, wir dürfen zahlen" darauf hin, dass in Deutschland 6.500 Beamten gegen Schwarzarbeit, ein Phänomen der Unterschicht, vorgehen. 400 Millionen Lohn kosten sie den Staat, 10 Millionen bringen sie ein. Hingegen fehlen der Finanzfahndung 3.000 Dienstposten. Jeder dort eingesetzte Beamte, der Steuererklärungen der Reichen prüft, würde das Dreifache seines Gehalts einspielen.
Ulrike Herrmann vertritt die Meinung, dass die Mittelschicht sich gegen eine weitere Schröpfung durch höhere Steuern wehren müsse. In ihren Schlussfolgerungen unterscheidet sie sich aber stark von Peter Sloterdijk. Wenn man auf die Armen hinhaue und Bilder von der sozialen Hängematte reproduziere, dann spiele man nur das Spiel der ach so produktiven Reichen.
Dass sich die Mittelschicht als Elite sieht, die von unproduktiven Transferleistungsbeziehern ausgebeutet werde, sei ein Selbstbetrug. Ein teurer Irrtum, der nur den wirklich Reichen nützt. Denn die würden prozentuell weniger Steuern zahlen als ein Angehöriger der Mittelschicht. An die Besteuerung von Reichen zu denken sei aber in Deutschland ein Tabu. Die Mehrheit der Bevölkerung ist paradoxerweise für Steuersenkungen bei den Reichen, weil sie glaubt, bald selbst zu den Reichen zu gehören.
Vorbild "New Deal"
Soll man nun die Mächtigen, unter ihnen viele Erben, die für das ererbte Vermögen nichts geleistet haben, die Sloterdijkschen "Produktiven", von Zumutungen wie Steuern gänzlich befreien, und stattdessen auf milde Taten und einen Wirtschaftsaufschwung hoffen? Oder stärker umverteilen, die Mitte wieder etwas entlasten und dafür von den Reichen und Mächtigen etwas mehr verlangen?
Letzteres klingt nach Klassenkampf. Für Ulrike Herrmann ist dieser mit dem Kapitalismus aber durchaus vereinbar. Schließlich kommt das Vorbild aus den USA. In den 1930er Jahren bemühte sich Präsident Franklin D. Roosevelt im Rahmen seines "New Deal" zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise um die Einführung einer Erbanfallsteuer, zusätzlich zur damals bereits existierenden Nachlasssteuer. Der Steuersatz lag bei Nachlässen von über 50 Millionen Dollar bei heute kaum vorstellbaren 70 Prozent, da Roosevelt in einer dynastischen Vermögenskonzentration eine Gefahr sah. In solchen Steuersätzen sieht Ulrike Herrmann auch heute eine Win-win-Situation. Denn in den USA führte das zu einem Wirtschaftswachstum, von dem alle, auch die Reichen, profitierten. Nur nicht ganz im Ausmaß von früher.
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