Die besten Inszenierungen des Vorjahres

Theatertreffen Berlin

Vorhang auf heißt es am Abend für das Theatertreffen in Berlin. Bis 24. Mai zeigt das renommierte Festival zehn Produktionen des vergangenen Jahres. Es sind Inszenierungen, die eine siebenköpfige Kritikerjury für die bemerkenswertesten und damit reif für den Bühnenoscar hält.

Kulturjournal, 07.05.2010

Mehr als 350 Stücke hat die Jury in Deutschland, der Schweiz und Österreich gesehen und sich dann für Produktionen aus Berlin, Hamburg, München und Köln, sowie Graz und Wien entschieden. Geprägt ist das Theatertreffen diesmal von Gegenwartsdramatik sowie Film- und Romanadaptionen. In den Stücken geht es so gut wie immer um den Kapitalismus und die Folgen der ökonomischen Krise.

Horváth-Drama aus Köln

Wie zum Hohn steht über der Bühne in großen goldglitzernden Buchstaben das Wort "Enjoy", wenn sich auf der Rückseite eines Vergnügungsparks langsam die Wege des arbeitslosen Chauffeurs Kasimir und seiner Verlobten Karoline trennen, die nach Höherem strebt.

Das Ödön-von-Horváth-Drama aus der Depressionszeit der 1930er Jahre bildet den Auftakt zum Stückereigen an der Spree. Der Niederländer Johan Simons hat das Stück ohne sentimentalen Schmelz auf die Bühne gebracht, nüchtern ist sein Blick auf Bonzen und Verlierer. Entdeckt hat die Jury die Inszenierung am Schauspielhaus Köln, das einer der Gewinner des Theatertreffes ist.

Schauspieler im Container

Drei der zehn Produktionen kommen vom Rhein. Bei Ettore Scolas Unterschichten-Drama "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" hat Intendantin Karin Beier selbst Regie geführt. Sie lässt die Schauspieler in einem verglasten, beinahe schalldichten Container agieren. Selten dringt ein Wort nach außen. Beier macht den Voyeurismus zum Thema, die Wahrnehmung eines geizigen wie geldgierigen Prekariats, wie es sich in nicht wenigen TV-Sendungen entblößt.

Inszenierung Nummer drei ist Elfriede Jelineks sogenannte Wirtschaftskomödie "Die Kontrakte des Kaufmanns", eine Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater. Regisseur Nicolas Stemann macht aus der Blitz-und-Donner-Suada gegen Ausbeutung und Menschenverachtung ein packendes Spektakel, in dem Täter und Opfer der Finanzkrise Texte dauerregnen lassen.

Zwei Produktionen aus Wien

Neben Köln glänzt Wien mit drei Produktionen. Zwei davon stammen vom Burgtheater. Zusammen mit dem Nature Theater of Oklahoma hat es "Life and Times Episode 1" auf die Bühne gebracht - eine schön schräge Performance. Pfadfinderinnen und Burgherren bewegen sich wie bei einer rhythmischen Sportgymnastik und beschreiben ausführlich die unspektakuläre Kindheit einer US-Mittelstandsbiografie.

Scharf gewürzt, süß und sauer ist die Sozialparabel "Der goldene Drache", die Roland Schimmelpfennig geschrieben und inszeniert hat. In kurzen, hoch getakteten Episoden erzählt er auf der weißen Bühne vom Schicksal zweier illegaler Migranten, von der Schattenseite der Globalisierung, von Gleichgültigkeit und Gier mit Todesfolge. Grob und komödiantisch lässt er die Darsteller agieren, die in zig Rollen schlüpfen, und die er gegen den Strich besetzt. Frau spielt Mann, Jung gibt Alt.

Handke-Stück aus Graz

Eine verkehrte doch geordnete Welt zeigt Christoph Marthaler in "Riesenbutzbach. Eine Dauerkolonie". Hier liegt der Wohlstand brach, einigermaßen heimelig ist es nur noch in den Garagen, in die sich die Gestrauchelten und Gefallenen zurückziehen, über wenig Wohl und viel Weh sinnieren - wie der Mann, der aus Scham seine Familie umbringt, weil er sich verspekuliert hat. Und sich bei einer Zeitung beschwert, weil sie ihn als Täter so unsympathisch beschreibt. Die Inszenierung war bei den Wiener Festwochen zu sehen.

Aus Graz ist Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten". Ein Unfall dient als Geschichten-Generator. Regisseur Viktor Bodo beeindruckt mit einer wortlosen, vielstimmigen und temporeichen Verhaltungsforschungssinfonie in der Großstadt. Handlungsfragmente montiert er mit den Mitteln des Films – von der Zeitlupe bis zur Miniszene. Scharf geschnitten sind die Charaktere, die sich zu Handlungsfragmenten in einer der weißen Kojen finden. Eine Minikamera filmt, was sie vor die Linse bekommt. Riesengroß erscheint es in Echtzeit auf der Leinwand. Extrem viel an frischem Geist attestiert Juror Stephan Keim der Produktion, die Handkes Regieanweisung neues Leben eingehaucht hat.

Sprungbrett Stückemarkt

Bis sich die zwei Damen und fünf Herren in der Jury geeinigt hatten, hat es lang gedauert. Lebhaft und kontrovers seien die Debatten verlaufen, beschreibt Keim den Weg bis zum einstimmig getroffenen Ergebnis. Das nunmehr 47. Theatertreffen gibt sich modern wie schon lange nicht mehr, mit vielen kühlen, Empathie-armen Ein- und Ausblicken. "Rausch der Nüchternheit" nennt es Juror Wolfgang Höbel.

In welche Richtung sich Texte entwickeln, womit Intendanten, Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler und Publikum rechnen dürfen, das soll einmal mehr der sogenannte Stückemarkt zeigen. Für Jungdramatiker aus ganz Europa ist es in Berlin das Sprungbrett vom Schreibtisch auf die Theaterbühne.

Textfassung: Ruth Halle

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Berliner Festspiele - Theatertreffen