Die Neuvermessung eines Reviers
Kulturhauptstadt Essen
Gleich drei Städte dürfen sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts mit dem Titel Europäische Kulturhauptstadt schmücken. Pécs, Istanbul und Essen. Die Stadt mit ihren etwa 600.000 Einwohnern tief im deutschen Westen steht stellvertretend für die gesamte Ruhrregion.
8. April 2017, 21:58
Gleich drei Städte dürfen sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts mit dem Titel Europäische Kulturhauptstadt schmücken. Pécs, Istanbul und Essen. Die Stadt mit ihren etwa 600.000 Einwohnern tief im deutschen Westen steht stellvertretend für die gesamte Ruhrregion, die eine der am dichtesten besiedelten des Kontinents ist.
In den kommenden Monaten wird das Revier in zig Veranstaltungen sowohl das Stahl- und Kohleklischee als auch seinen bemerkenswerten Strukturwandel hin zu einem modernen Wirtschafts- und Kulturraum thematisieren.
Region im Umbruch
Gerne kokettiert die Region zwischen Niederrhein und Westfalen in diesen Wochen mit dem Stahlkocher- und Kohlekumpel-Image. Mehr als 50 Kommunen wollen zeigen, dass der Landstrich mehr zu bieten hat als eine schwerindustrielle Vergangenheit. Geschäftsführer Fritz Pleitgen, einst Intendant des WDR, will den Mythos Ruhr transportieren und Einheimischen wie Fremden die Wurzeln zeigen.
Alte Industriezweckbauten, Kohleschachtanlagen und Abraumhalden sind in das Konzept ebenso eingebunden, wie Fußballstadien, Verkehrswege und renommierte Kultureinrichtungen, etwa das Folkwang Museum in Essen. Das Haus bekommt für seine Sammlung der Modernen Kunst einen Neubau, den der britische Stararchitekt David Chipperfield entworfen hat.
Innovationsmotor Kultur
Die traditionelle Aufspaltung in die Bereiche Musik, Theater, Bildende Kunst ist großzügig mit Literatur, Heimat oder Integration erweitert. Der Anspruch ist hoch. Den Initiatoren geht es um nichts Geringeres als die Neuvermessung des Reviers, darum aus einem zersiedelten Vielstädtegebilde mit hohem Egofaktor eine Metropole Ruhr zu schaffen. Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel lautet das Motto.
Mehr als 300 Projekte stehen bis Dezember auf dem Kalender, an die 2500 Einzelveranstaltungen sind geplant. So präsentiert Herbert Grönemeyer zur offiziellen Eröffnung am kommenden Wochenenden seine Hymne "Komm zur Ruhr", eine gesperrte Autobahn wird im Sommer für Stunden zur Stegreifbühne, knallgelbe Gasballons werden dort in die Höhe steigen, wo die Wege einst tief unter Tag geführt haben. In der Arena auf Schalke sollen 60.000 Menschen einen Chor bilden. Kulturzüge verbinden die Kommunen und die Odyssee von Homer wird in sechs verschiedenen aktuellen Fassungen an sechs verschiedenen Theatern aufgeführt.
Zauberwort Nachhaltigkeit
An die 60 Millionen Euro beträgt offiziell der Etat für Ruhr 2010, hinzu kommen gut 120 Millionen für Infrastrukturprojekte, die in die chronisch finanzschwache Region investiert werden. Nachhaltigkeit ist daher ein Wort, das Geschäftsführer Fritz Pleitgen gerne benutzt.
Noch werde das Ruhrgebiet grotesk unterschätzt, sagt Pleitgen. Trotz der vielen Museen, Theater und Industriedenkmäler habe es ein lausiges Image. Im Land der einst eintausend Feuer hat der Wandel längst begonnen. Am Ende des monatelangen Dauerbrenners Ruhr 2010, so die Hoffnung, soll der Funke der Erkenntnis auf die Menschen in- und außerhalb des Reviers übergesprungen sein.
Mehr zu Europas Kulturhauptstädten in http://oe1.orf.at/highlights/148534.html' class='red'>oe1.ORF.at